Formen von Migration sind ein durchgängiges Thema in Plautus’ Komödien:1 Viele Figuren haben im Laufe ihrer Biographie, die in den Stücken ausführlicher entworfen oder oft auch nur angedeutet wird, den Ort gewechselt, an dem sie leben. Dies geschieht häufig unter explizitem oder implizitem Zwang: Die Komödien sind voll von verschleppten Kindern, die in der Fremde verkauft oder (im günstigeren Fall) an Kindes Statt aufgezogen wurden. Daneben gibt es unzählige Kriegsgefangene, die ebenfalls in die Unfreiheit verkauft wurden. Hinzu kommen ökonomische Faktoren, die einen Teil der Figuren – und dies sind in der Regel die Freien – unterwegs sein lassen. Hierunter fallen etwa Männer, die sich als Söldner verdingt haben, daneben Bürger, die ihr Auskommen mit Handel verdienen und dazu mit dem Schiff unterwegs sind oder waren, und schließlich Bordellbesitzer, die den Märkten hinterher ziehen. Eine weitere signifikante Gruppe wird durch Freie gebildet, die auf der Suche nach ihren verlorenen Kindern sind.2
Alle diese den Stücken vorgelagerten Bewegungen haben Einfluss darauf, welchen Platz die Figur in der gezeigten Gesellschaft einnimmt. Vor dem Hintergrund der Expansion römischer Herrschaft führen sie vor, wie die Begegnung mit der Welt außerhalb der Stadtgemeinschaft das Leben der Figuren grundlegend verändern kann.3 Die Stücke selbst stellen dabei exemplarisch die Identität Einzelner in Frage und zeigen auf, wie sehr diese in der antiken Welt an der Anerkennung anderer hängt: Die Anagnorisis und das Happy End im Sinne einer Herstellung des vorherigen sozialen Status ist in der Regel nur möglich, wenn ein Zeuge oder Verwandter auftritt, der die Person als eine bestimmte direkt erkennt oder über vorhandene Erkennungszeichen einem anderen Status an anderem Ort zuordnen kann. Zu den Gattungserwartungen des Publikums an die Komödie gehört damit auch, dass zumindest für einen (sehr kleinen) Teil der Figuren eine Rückkehr zum ursprünglichen Leben möglich ist.
Da die unerwartete Wendung in der Regel durch die Ankunft einer bis dahin unbekannten Person erfolgt, sollte zu den typischen Rollen deswegen auch die des peregrinus gezählt werden. Fremde kommen während des Stückes an, sie zeichnen sich als Fremde aus, weil sie sich nicht auskennen und auf das Wissen der Ortsansässigen angewiesen sind – und weil die Ortsansässigen sie nicht kennen.4 Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich also im Folgenden anhand der Rolle des peregrinus mit der Frage, warum gerade diese Figur so häufig ist in den Komödien des Plautus, welche Funktion sie übernimmt und wie man an dieser Figur die Strukturierung der Gesellschaft im Hinblick auf Mobilität und Migration untersuchen kann.
Dazu ist im Folgenden zu betrachten, welche Folgen der Auftritt eines peregrinus für den Verlauf der Handlung hat, welche gesellschaftlichen Erwartungen an der Figur des peregrinus gespiegelt werden, welche Fragen der Identität sich auf ihn projizieren lassen und welche Auswirkungen der Auftritt des peregrinus auf die Identität anderer Figuren hat, bevor abschließend die Frage gestellt wird, ob und in welchem Maße das Bühnengeschehen die Erfahrungswelt der antiken Zuschauerinnen und Zuschauer verarbeitet.
Zur Illustration greife ich vor allem auf die Komödien Menaechmi, Poenulus, Rudens und Epidicus zurück, da sich anhand dieser beiden die gerade aufgeworfenen Fragen besonders gut beantworten lassen.
Die Ankunft des Fremden und die Entwicklung der Handlung
Plautus’ Komödien entwickeln sich um ein strukturelles Grundgerüst von Ereignissen und Figuren. Die vorliegende Untersuchung geht also davon aus, dass mit der Figur des Fremden und seiner Ankunft ein entscheidender Impuls für die Entwicklung der Handlung verbunden ist. Dieses Element gehört zwar nicht zum gängigen stereotypisierten Repertoire der römischen Komödie,5 trifft sich jedoch durchaus mit etablierten Beobachtungen von Gattungsmerkmalen.
So hat beispielsweise Duckworth in seiner Untersuchung als wesentlich für die Entwicklung der Handlung in der römischen Komödie „a general atmosphere of misapprehension“ bestimmt. Diese sei nicht nur, aber häufig durch falsche Annahmen zur Identität der Personen bedingt.6 Ferner hält Lowe in seiner Monographie ‚The Classical Plot‘ für die römische Komödie fest, dass es kaum eine andere Gattung gebe, die so engen Regeln in der Modellierung der entworfenen Welt folge, die auf Haus und Familie beschränkt sei. Der Reiz der Stücke liegt ihm zufolge vielmehr in der jeweiligen Entwicklung oder Entfaltung der Handlung als in einem neuen Setting. Hinzu kommt, dass den Stücken neben einem räumlich engen Fokus auch eine „stabile“ Weltordnung mit gültigen Normen zugrunde liegt, auf die durch die Figuren individuelle Perspektiven geworfen werden. Eine Dynamik ergibt sich in den Stücken durch „unstabile“ Zustände, durch die diese Normenwelt in Frage gestellt wird (zum Beispiel durch die Entführung von Kindern).7 Aus den beiden exemplarisch herangezogenen Untersuchungen lässt sich also als strukturelle Basis mit Blick auf die folgenden Überlegungen extrahieren, dass auf der Bühne eine prinzipiell stabile Welt gezeigt wird, die durch einen Impuls von außen gestört und in Bewegung versetzt werden kann. Teil der sich entwickelnden Dynamik sind Figuren, deren Identität im sozialen Mikrokosmos unbekannt oder unerkannt geblieben ist.
So unterrichtet etwa der Prologsprecher der Komödie Menaechmi die Zuschauer darüber, dass ein Kaufmann in Syrakus eineiige Zwillingssöhne hatte. Als diese sieben Jahre alt waren, nahm der Vater den einen Sohn (Menaechmus) mit auf eine Handelsreise nach Tarent, wo er ihn im Gedränge verliert. Der Vater stirbt aus Gram über den Verlust und der Großvater nennt in Erinnerung an den verlorenen Enkel den verbliebenen Jungen, der eigentlich Sosicles heißt, fortan nur noch Menaechmus. Ein Kaufmann aus Epidamnus entdeckt den eigentlichen Menaechmus und nimmt ihn mit nach Hause, adoptiert ihn, verheiratet ihn mit einer vermögenden Frau und setzt ihn zum Erben ein. Der Kaufmann stirbt nicht allzu lange vor Beginn des Stücks. Die letzten Verse des Prologs leiten unmittelbar in die Gegenwart der Komödie (hodie) über:
nunc ille geminus, qui Syracusis habet,
hodie in Epidamnum veniet cum servo suo
hunc quaeritatum geminum germanum suom.
Nun wird also jener Zwilling, der in Syracus wohnt, heute nach Epidamnus kommen mit seinem Sklaven auf der Suche nach seinem Zwillingsbruder.
Plaut. Men. 69–718
Durch die Konstellation mit den Zwillingen,9 die natürlich für Verwechslungen prädestiniert ist und entsprechend ausgenutzt wird, sind beide Brüder nie gleichzeitig auf der Bühne anwesend, sondern wechseln sich vielmehr ab, wobei die Handlung an Fahrt gewinnt, weil der eine für den anderen gehalten wird und sich dadurch soweit in Schwierigkeiten manövriert, dass er am Ende für verrückt erklärt wird. Nur durch das beherzte Eingreifen des Sklaven seines Bruders, der ihn verwechselt und für seinen eigenen Herrn hält, kann der ‚echte‘ Menaechmus vor Schlimmerem bewahrt werden. Schließlich treffen beide Brüder doch noch aufeinander, erkennen die gemeinsame Biographie und segeln beide zurück nach Syracus.
Dieses Stück lebt sowohl in der Komik von der Ankunft des Doppelgängers, indem die Erwartungen, die die Figuren an den vermeintlichen Menaechmus stellen, nicht erfüllt werden, als auch in der Handlung, die ohne den Auftritt des Zwillingsbruders ohne Verwicklungen auskäme. Der echte Menaechmus wird also von seinem ehemaligen Leben an einem anderen Ort buchstäblich eingeholt.
Wie sich der gerade gegebenen Skizze entnehmen lässt, hängt die Handlung der Stücke nicht nur an Ereignissen, die durch eine ankommende Figur ausgelöst werden, sondern ist nachgerade mit diesen Figuren verknüpft, indem ihre Identität in Frage gestellt wird. Dies ist möglich, weil nahezu alle Figuren der Komödien in ihrem Leben mindestens einmal ihren Lebens- und Wohnort gewechselt haben. Dabei zeigt die Komödie lediglich einen Ausschnitt der jeweiligen Migrationsbiographie der Protagonistinnen und Protagonisten: Ein Großteil der Figuren ist bereits lange ‚vor‘ Beginn der Komödienhandlung migriert, während die Ankunft des Fremden während des Stückes in der Regel weitere Umzugsbewegungen am Ende oder im Anschluss an das Stück nach sich zieht: So ist etwa der in Tarent verschleppte und nun seit mehreren Jahren in Epidamnus wohnende Menaechmus sofort bereit, seinen Besitz in Epidamnus zu versteigern und mit seinem Bruder zurück nach Tarent zu ziehen. Während die vor der Handlung liegenden Ursachen für einen Ortswechsel (Handelsfahrten, Feldzüge, Kriegsgefangenschaft, Verschleppung, Entführung, Versklavung) offenbar für diese Zeit typische Konstellationen spiegeln,10 setzt die Handlung auf eine Verkettung von Zufällen, die in der Realität zwar vorstellbar scheinen, deren tatsächliches Eintreffen außerhalb der fiktionalen Welt jedoch eher unwahrscheinlich ist.
Soziales Milieu und Mobilität der Figuren
Wie sich gezeigt hat, ist die Entwicklung der Handlung eng mit der ‚Biographie‘ der Figuren verknüpft, die durch Formen von Migration bzw. Mobilität geprägt sind. Migration ist als eigenes Forschungsthema in den Altertumswissenschaften unlängst angekommen.11 Spricht man über Migration und Mobilität in der Antike, sollte man sich klar machen, dass es Unterschiede zu modernen Begriffsassoziationen gibt. Dies beginnt bei der Feststellung, dass Migration heute mit der Überschreitung staatlicher territorialer Grenzen assoziiert wird und dass sie administrativen Regularien unterworfen ist. Dies impliziert zugleich, dass in einer nationalstaatlichen Perspektive ‚Fremde‘ und ‚Migranten‘ gleichgesetzt werden.12 ‚Migration‘ wurde zudem lange mit einem freiwilligen Ortswechsel in Verbindung gebracht. Unterdessen ist jedoch klar, dass auch dieser den Regeln des sozialen oder ökonomischen Kontexts unterliegt und nur auf den ersten Blick frei und unabhängig erscheint. Neben dem Ortswechsel (grenzüberschreitend) spielt der Faktor Zeit (dauerhaft) eine entscheidende Rolle. Indes können auch ursprünglich als ‚Reisen‘ geplante vorübergehende Ortswechsel in einem längeren oder dauerhaften Aufenthalt am anderen Ort enden und damit in diese Kategorie fallen.13 Dabei ist für die Kategorie Migration der rechtliche und soziale Status der Personen zunächst unerheblich; das bedeutet indes nicht, dass ein Ortswechsel nicht mit einem entsprechenden Statuswechsel der Migrant:innen verbunden wäre. Denn am neuen Ort begegnen sie einem anderen Rechts- oder Sozialsystem, zu dem sie sich verhalten und mit dem sie interagieren müssen.14 Mobilität hingegen ist im gegenwärtigen Sprachgebrauch vorwiegend positiv konnotiert, da mit dem Begriff die Möglichkeit von freier Bewegung innerhalb oder über Grenzen hinweg verknüpft ist. So passt auch dieser nur bedingt für die Manifestationen des Unterwegsseins, die in den Komödien des Plautus begegnen. Da er jedoch in der Soziologie inzwischen der gängigere und weiter gefasste zu sein scheint, bietet es sich an, diesen für die folgenden Ausführungen zu verwenden.15
Für die hier relevante Epoche der frühen römischen Republik ist zum Thema die Arbeit von Isayev 2017 (‚Migration, Mobility and Place in Ancient Italy‘) unmittelbar einschlägig und hat ein eigenes Kapitel zum Mobilitätsverhalten in Plautus’ Komödien (Kap. 6). Hier untersucht Isayev, die sich für den Begriff ‚mobility‘ (10) entscheidet, vor allem die Repräsentation alltäglicher Mobilität und vertritt die These, dass in der Antike Mobilität weit verbreitet war (3f.). Für Plautus etabliert sie sechs Szenarien, die sie als typische Elemente identifiziert (198). Von diesen sind für den vorliegenden Beitrag vor allem die Ausführungen zu zwei Elementen interessant: Zum einen die Feststellung, dass man sich Fremden gegenüber indifferent verhält (200–210), und zum anderen, dass es wiederkehrende Verfahren zur Feststellung der Identität eines Unbekannten gibt (210f.). Sie kommt dabei zu dem Schluss, dass für die Mobilität der Menschen in der Antike territoriale Grenzen keine Rolle spielen, sondern dass es vielmehr soziale Grenzen sind, die Hindernisse darstellen (227f.).
Der vorliegende Beitrag stützt sich zwar auf die zuvor genannten Studien zu Migration und Mobilität, nimmt aber eine literaturwissenschaftliche Perspektive ein. Mein Anliegen ist es zu zeigen, dass Mobilität für die Entstehungszeit der Komödien so relevant ist, dass sie sich sogar in der Struktur der Stücke niederschlägt. So werden auf der Bühne nicht nur Formen von Mobilität dargestellt, sondern vielmehr Situationen und Perspektiven auf die Bühne gebracht, die in immer neuen Konstellationen und Wendungen Mobilität als kreatives Potential nutzen und damit die Regeln, die in der Welt außerhalb des Stücks gelten, herausfordern oder in Frage stellen.
Die Figuren der Stücke zeigen zwar nicht das gesamte Spektrum der Bevölkerung, aber doch einen repräsentativen Querschnitt (so sind z.B. Feldherren und Magistrate nicht vertreten, auch sind durch das Setting fast immer nur Stadtbewohner zu sehen, wobei durch das Bühnenbild ein besonderer Fokus auf die Hausgemeinschaft gelegt wird). So gut wie alle der auftretenden Figuren lassen sich mit dem Thema Mobilität verbinden. Als Trennlinie bietet sich diejenige zwischen Freien und Unfreien an.16 Als freie Figuren begegnen Kaufleute, Soldaten und Zuhälter:innen. Die Kaufleute lassen sich im Alter differenzieren in den Typ des senex, des Vaters, und des adulescens, seines meist verliebten Sohnes.17 Als Kaufmann ist der Vater durch Handel zu Vermögen gekommen, d.h. Handelsfahrten sind Teil seiner Vergangenheit, in den Stücken ist er in der Regel nicht mehr unterwegs, sein fortgeschrittenes Alter wird also mit ‚Sesshaftigkeit‘ assoziiert.18 Die beiden Menaechmi entstammen diesem Milieu und der eine wird auch in dieses Milieu entführt, aus dem er am Ende des Stückes wieder zurückkehrt, in seinem Fall ist die Mobilität letztendlich nicht wie sonst üblich mit einem Statuswechsel verbunden.19 Ein Konflikt mit dem Sohn ist möglich, wenn dieser vom erwirtschafteten Geld des Vaters lebt und es vor allem für sein erotisches Vergnügen ausgibt.20 In manchen Stücken findet sich daher die Variante, dass die Söhne zur Bewährung ebenfalls auf Handelsreise geschickt werden: So werden die jungen Leute in der Komödie Stichus (die allerdings bereits verheiratet sind) erst nach erfolgreicher Handelsreise von der Familie als Schwiegersöhne wirklich anerkannt, die Handelsreise dient hier als Bewährungsprobe. Im Trinummus ist in Abweichung vom skizzierten Schema der Vater geschäftlich unterwegs, während der Sohn zu Hause das Vermögen durchgebracht hat. In seiner Not plant er, sich als Söldner zu verdingen, um die Schulden zu begleichen.
Söldner sind die zweite Gruppe freier Figuren, die typischerweise auftreten. Sie gehören meistens zu den an- und vorbeikommenden Figuren, die mit ihrem Geld in die Handlung und in bestehende Konstellationen eingreifen (indem sie beispielsweise Anspruch auf die Lieblingshetäre des Sohnes erheben).21 Prinzipiell ist militärischer Erfolg der Soldaten, der hauptsächlich im Umfang der mitgeführten oder erwähnten Beute sichtbar wird, als Leistung anerkannt, wie folgende Passage, die als hinterszenisches Ereignis im Epidicus referiert wird, illustriert:
a legione omnes remissi sunt domum Thebis. ...
arma referunt et iumenta ducunt. ...
tum captiuorum quid ducunt secum! pueros, uirgines,
binos, ternos, alius quinque; fit concursus per uias,
filios suos quisque uisunt.
Aus dem Heer sind alle von Theben nach Hause entlassen worden. ... Sie bringen Waffen und Lasttiere mit Gepäck zurück. ... Dann, wieviel Gefangene führen sie mit sich! Kinder,22 junge Frauen, je zwei oder drei, manche auch fünf. Das gibt ein Gedränge in den Straßen, jeder will seine Söhne sehen.
Plaut. Epid. 206–212
Auch der senex in dieser Komödie hatte seinen Reichtum einst durch Kriegsdienst erworben, sein Sohn tritt nun (nicht ganz so erfolgreich) in seine Fußstapfen. Wenig Sympathie hingegen ernten diejenigen Soldaten in den Stücken, die als Konkurrenten der adulescentes auftreten und mit entsprechend negativen Charakterzügen ausgestattet sind. Das Paradebeispiel ist sicherlich der Soldat im gleichnamigen Stück Miles gloriosus, der mit seiner militärischen und körperlichen Potenz prahlt und am Ende des Stückes eines Besseren belehrt wird.23
Einerlei ob Kaufmann oder Militär, lässt sich für diese Gruppe festhalten, dass sie im Alter differenziert ist in jung (d.h. oft Sohn und ggf. heiratsfähig) oder alt (d.h. verheiratet oder bereits verwitwet und ggf. Vater) und dass diese Stufen mit unterschiedlichen Erwartungen an das Verhalten und die Position der Person verbunden sind; hierzu zählen ökonomischer und/oder militärischer Erfolg und Mobilität bzw. Sesshaftigkeit.
Eine dritte Gruppe, die wie die Soldaten vom Krieg profitiert, sind die Zuhälter und Zuhälterinnen, die nach den Sklavenhändlern ihr Geschäft mit der durch Krieg und Verschleppung erzeugten Ware Mensch machen.24 Auch diese sind nicht ortsgebunden, vielmehr ziehen sie den Märkten hinterher. Die Komödie Rudens setzt beispielsweise damit ein, dass sich ein Zuhälter aus Cyrene entschließt, mitsamt seinen Prostituierten nach Agrigent umzuziehen, weil die Marktlage dort nach Auskunft eines Bekannten für das Gewerbe günstiger ist (53–57).
Bei allen drei genannten Gruppen sind es ökonomische Faktoren, die die Mobilität auslösen. Anders als der Kaufmann sind Söldner und Zuhälter auch selbst ursächlich am Mobilsein anderer beteiligt und werden in den Stücken von den betroffenen Figuren in ein ungünstiges Licht gerückt. Allein das Geschäft des Kaufmanns scheint in der Vorstellung der Figuren einer anderen gesellschaftlichen Gruppe nicht negativ assoziiert zu werden. Dies zeigt die Äußerung des Fischers Gripus, eines Sklaven, der in seinem Netz eine Schatztruhe findet und sich mit ihrer Hilfe seine Zukunft als Handelsreisender ausmalt:
nunc sic faciam, sic consilium est: ad erum veniam docte atque astute.
pauxillatim pollicitabor pro capite argentum, ut sim liber.
iam ubi liber ero, igitur demum instruam agrum atque aedis, mancipia,
navibus magnis mercaturam faciam, apud reges rex perhibebor.
post animi causa mihi navem faciam atque imitabor Stratonicum,
oppida circumvectabor. ubi nobilitas mea erit clara,
oppidum magnum communibo, ei ego urbi Gripo indam nomen,
monimentum meae famae et factis, ibi qui regnum magnum instituam.
So will ich das jetzt machen, so ist mein Plan: Ich gehe zu meinem Herrn, und zwar pfiffig und schlau: Nur nach und nach werde ich ihm für mich Geld anbieten, damit ich freikomme. Wenn ich dann frei bin, richte ich mir schließlich Haus und Hof ein, mit Sklaven, treibe Handel auf großen Schiffen, werde unter Königen für einen König gehalten. Später werde ich mir ein Schiff bauen und wie der Künstler Stratonicus eine Tournee starten. Sobald ich berühmt genug bin, gründe ich eine große Stadt, die ich nach mir ‚Gripus‘ nennen werde, zum Andenken an meinen Ruhm und meine Taten, und dort richte ich ein großes Königreich ein.
Plaut. Rud. 928–935
Geld und Gold sind in seinem Weltbild der Weg nicht nur zur Freiheit, sondern auch zu Ruhm und Ansehen. Dieser soziale Aufstieg ist mit einem hohen Maß an Mobilität verknüpft, die für ihn nicht negativ konnotiert ist, sondern vielmehr der Mehrung seines finanziellen wie symbolischen Kapitals dient. Auch wenn die Mobilität der gerade vorgestellten Gruppen ökonomischen Zwängen unterliegt, so verfügen die Figuren innerhalb eines bestimmten Rahmens doch über Handlungsmacht, indem sie selbst in gewissem Grade bestimmen, ob, wann und wohin sie reisen und für wie lange.25 Im günstigsten Falle ist das Ergebnis ihrer Mobilität ein Zuwachs an Kapital.
Anhand der beiden zuletzt zitierten Passagen lässt sich ablesen, dass die dominante Sichtweise auf Mobilität mit Erfolg konnotiert ist. Dass sich dies unter Anderem darin manifestiert, dass dort weitere Personen zum Unterwegssein gezwungen werden und sozialem Abstieg unterworfen sind, wird nicht thematisiert. Hier verläuft also eine Trennlinie, die in den Komödien eine Umkehr der Perspektive braucht, um einen Einblick in die Schicksale der Betroffenen zu geben. Auf der anderen Seite finden sich die Unfreien, deren sozialer Abstieg in die Sklaverei von erzwungener geographischer Mobilität in der Regel nicht zu trennen ist. Deren größte Gruppe sind in den Komödien Personen, die als Kinder entführt oder als jugendliche Kriegsbeute in die Sklaverei verkauft wurden.26
Während sowohl Jungen wie Mädchen Opfer von Verschleppung und Kriegsgefangenschaft werden, ergibt sich für die Mädchen daraufhin als Möglichkeit nur die sexuelle Ausbeutung: Die meisten weiblichen Figuren begegnen als freie oder unfreie Hetären.27 Daneben gibt es wenige Haussklavinnen28 sowie gesetzte Ehefrauen.29 Dem vergleichsweise breiten sozialen Spektrum der Männerwelt steht damit eine eingeschränkte Auswahl an weiblichen sozialen Rollen gegenüber. Bis auf wenige Ausnahmen30 ist weibliche Mobilität demnach nicht selbstbestimmt, auch die gutsituierte Ehefrau des Menaechmus im vorgestellten Stück wird am Ende nicht gefragt, ob sie mit ihrem Mann nach Syracus umziehen möchte, sie wird vielmehr als Teil des Hauses betrachtet, den man vor dem Umzug verkaufen kann (Men. 1157–1160).
Es lässt sich also festhalten, dass die Figur des Fremden mit der Vorstellung eines freien und solventen Mannes verbunden ist, der es sich als Reisender und Ankommender offenbar leisten konnte, eine Schiffspassage zu finanzieren (s.o. Men., Rud., Stich.). Kaufkraft und Manneskraft finden in der Komödienhandlung ihren Ausdruck darin, dass der ankommende Fremde wie zum Beweis als erstes den Weg ins Bordell nimmt (z.B. Poen. 104–113, Epid. 213–218).
Sowohl freie wie unfreie Frauen hingegen sind im Verlauf des Stückes eher in der wartenden Position. Seien es die Hetären, die sich im Epidicus am Hafen positionieren, um nach ankommenden Freiern Ausschau zu halten (213–218), oder die Ehefrauen im Stichus, die angespannt auf ihre Männer warten (150–154), die auf Handelsreise sind. Das Spektrum der Frauen in den Komödien des Plautus scheint damit, will man die Kategorie Geschlecht als Spiegelachse anlegen, weniger ausgearbeitet als das der Männer. Und das liegt auch an ihrem anders gestalteten Mobilitätsverhalten. Das gilt ebenso für das Alter: Hier begegnen im Prinzip hauptsächlich verheiratete freie Frauen oder unverheiratete unfreie.
Anders als die gerade nach verschiedenen Kategorien sozialer Struktur gegliederte Übersicht vermuten lässt, gibt es in den Komödien durchaus unterschiedliche Perspektiven auf Mobilität und damit auch variierte Formationen dieser sozialen Kategorie. Im Folgenden soll daher exemplarisch an drei Stücken gezeigt werden, wie die vorgestellten Kategorien gleichzeitig bestätigt und unterlaufen werden.
Mobilität und Identität
Die ‚Menaechmi‘ liefern hierfür ein instruktives Beispiel, weil die beiden Brüder in unterschiedlicher Hinsicht gerade nicht die übliche Rolle jüngerer Männer spielen: Der eine der beiden wurde entführt, der andere sucht ihn nun. Als der Bruder aus Syracus mit seinem Sklaven Messenio im zweiten Akt ankommt, entspinnt sich folgendes Gespräch:
Sosicles uoluptas nulla est nauitis, Messenio,
maior meo animo quam quom ex alto procul
terram conspiciunt. Messenio maior, non dicam dolo,
[quam] si adueniens terram uideas quae fuerit tua.
sed quaeso, quam ob rem nunc Epidamnum uenimus?
an quasi mare omnis circumimus insulas?
Sosicles fratrem quaesitum geminum germanum meum.
Messenio nam quid modi futurum est illum quaerere?
hic annus sextus est postquam ei rei operam damus.
Histros, Hispanos, Massiliensis, Hilurios,
mare superum omne, Graeciamque exoticam,
orasque Italicas omnis, qua aggreditur mare,
sumus circumuecti. si acum, credo, quaereres,
acum inuenisses, si appareret, iam diu.
hominem inter uiuos quaeritamus mortuom;
nam inuenissemus iam diu, si uiueret.
Sosicles ergo istuc quaero certum qui faciat mihi,
qui sese dicat scire eum esse emortuom:
operam praeterea numquam sumam quaerere.
uerum aliter uiuos numquam desistam exsequi.
ego illum scio quam carus sit cordi meo.
Sosicles Es gibt meiner Meinung keine größere Freude, Messenio, für einen Schiffsreisenden, als wenn er vom Meer aus Land erblickt.
Messenio Eine noch größere (ich sag’s dir freiheraus) ist es, wenn du das Land erblickst, das dein eigenes war. Aber sag mal, was wollen wir jetzt in Epidamnus? Oder schauen wir wie das Meer bei allen Inseln vorbei?
Sosicles Meinen Zwillingsbruder suchen.
Messenio Werden wir damit auch einmal aufhören? Wir machen seit fünf Jahren nichts anderes. Wir sind mit dem Schiff zu den Leuten an die Donau, nach Spanien, Marseille, Illyrien gefahren, in der ganzen Adria herumgeschippert, nach Sizilien, die ganzen Küsten Italiens lang, eben überall, wo Meer hinkommt. Würdest du eine Nadel im Heuhaufen suchen, du hättest sie schon längst gefunden. Aber du suchst nach einem Toten unter Lebenden – denn wenn er noch am Leben wäre, hätten wir ihn längst entdeckt.
Sosicles Genau das suche ich, jemanden, der mir das bestätigt und der mir sagt, dass er weiß, dass mein Bruder tot ist: Dann werde ich die Suche einstellen. Aber so werde ich mein Leben lang nicht aufhören, nach ihm zu suchen. Ich weiß doch, wie lieb er mir ist.
Plaut. Men. 226–246
Das ist ein Gespräch, wie es zwischen Sosicles und seinem Begleiter bereits mehrmals stattgefunden haben muss, mutmaßlich bei jedem Landgang, denn sie sind schon eine Weile unterwegs und die Liste der Stationen ist lang und weit auseinander liegend. Entgegen der weiter oben geäußerten gedanklichen Verknüpfung zwischen Seehandel und Erfolg ist diese Fahrt nicht erfreulich, denn sie sucht keinen Gewinn, sondern etwas, das vor langer Zeit verloren gegangen ist. Zudem führt sie nicht zu finanziellem Ertrag, sondern geradewegs in den Ruin, denn bei einem anschließenden Blick in die Reisekasse stellt Messenio fest, dass fast alles aufgebraucht ist. Sosicles hat also bereits fünf Jahre seines Lebens damit zugebracht, seinen Bruder zu suchen, und er würde auch den Rest seines Lebens damit verbringen, wenn nicht die Ereignisse der Komödie der Suche ein Ende setzen würden. Als sich die beiden am Ende wiederfinden, gesteht Sosicles seinem Bruder, die Suche habe ihn nicht wenig Mühen und Entbehrungen gekostet (multis miseriis, laboribus, 1133).
Die gleichsam ziellos wandernde Existenz des Sosicles wird damit durch die Nichtexistenz seines Bruders bestimmt, dessen Namen er inzwischen trägt und damit auch seine ursprüngliche Identität aufgegeben hat.31 Sein Bruder führt zwar noch seinen ursprünglichen Namen, hat aber die Erinnerung an seine frühere Existenz verdrängt und lebt inzwischen ein anderes Leben an einem anderen Ort. Auf diese Weise prägt das Unglück des einen auch das Unglück des anderen. Doch nicht nur das: Als weitere Person wird Sosicles’ Sklave durch die Entführung des Menaechmus in Mitleidenschaft gezogen, denn er muss seinen Herrn bei der Suche nach dem Bruder begleiten. Seine oben zitierte in der zweiten Person gehaltene Äußerung (229), dass Seeleuten besonders das eigene Land willkommen sei, kann im Lateinischen doppelt bezogen werden: zum einen konkret auf das angesprochene Gegenüber Sosicles, zum andern als verallgemeinerndes Du auf alle Seefahrenden. So lässt es sich auch auf Messenio beziehen, der, wie sein Name suggeriert, offenbar ursprünglich aus Messene stammt und seine eigene Heimat im Zuge seiner Versklavung ebenfalls lange nicht mehr gesehen hat (was sich auch voraussichtlich nicht mehr ändern wird).32
Dass in den Komödien grundsätzlich damit gerechnet wird, dass man nicht dort geboren wurde, wo man sich gerade aufhält, illustriert das Aufeinandertreffen von Sosicles und der Lieblingshetäre seines Bruders, die ihn natürlich für den anderen Zwilling hält und entsprechend behauptet, ihn zu kennen, wiewohl Sosicles es abstreitet. Als sie den Namen seines Vaters, seine Vaterstadt und seine Geburt in die Regierungszeit von König Agathocles datiert, zieht Messenio daraus erstaunt den Schluss, dass sie ebenfalls aus Syracus stammen müsse (Men. 407–413). Das scheint für ihn die naheliegendere Möglichkeit zu sein, als dass sie mit Menaechmus tatsächlich bekannt ist.
Hieran lässt sich auch ablesen, dass man in einer Zeit ohne amtliche Identitätsdokumente bei der Begegnung mit Fremden darauf angewiesen ist, dass diese möglichst genau Auskunft über ihre Person geben, dazu gehören neben dem Namen der Vater und der Herkunftsort.33 Als Sosicles auf den Schwiegervater seines Bruders trifft, kehrt er die Frage, die eigentlich ihm als Fremdem gelten müsste, wenn man ihn nicht für seinen seit langem bekannten Bruder halten würde, um:
Sosicles tun, senex, ais habitare med in illisce aedibus?
Senex tu⟨n⟩ negas? Sosicles nego hercle uero. Senex immo hercle inuero negas;
nisi quo nocte hac ⟨e⟩migrasti. ⟨tu⟩ concede huc, filia.
quid tu ais? num hinc emigrasti⟨s⟩?
Matrona quem in locum aut ⟨quam⟩ ob rem, opsecro?
Senex non edepol scio. ...
Sosicles quaeso, quid mihi tecum est? unde aut quis tu homo es?
Sosicles Alter, du sagst, dass ich in diesem Haus da wohne?
Senex Du streitest das ab?
Sosicles So wahr ich Menaechmus heiße.
Senex Wohl eher so unwahr du Menaechmus bist – es sei denn, du wärest letzte Nacht ausgewandert. Tochter, komm mal her zu mir. Was sagst du? Seid ihr ausgewandert?
Ehefrau Wohin denn oder wozu denn, bitteschön?
Senex Was weiß ich ...
Sosicles Was willst du eigentlich von mir?! Woher bist du und wer bist du, Mann?
Plaut. Men. 820–826
Die Szene gipfelt buchstäblich in einer Identitätskrise, denn man hält Sosicles anschließend für verrückt. Dieser erkennt das als Chance, sich aus der misslichen Lage zu befreien, bringt damit aber für den nächsten Auftritt seinen Zwillingsbruder in Gefahr, der nun für schizophren gehalten wird und durch einen Arzt eingewiesen werden soll. Gerade in dem Moment, als er gewaltsam weggebracht werden soll, kommt Messenio ‚seinem‘ Herrn zu Hilfe und befreit ihn.34
Die Menaechmi führen damit eindrücklich vor, dass bekannt und fremd, zu Hause und in der Fremde, angekommen und unterwegs Oppositionen sind, die im Auge des Betrachters liegen und sich jederzeit umkehren können.
Die weibliche Sicht auf Mobilität
Rudens ist eine Komödie, in der im Prinzip alle Figuren unterwegs sind. Sowohl der Titel des Stücks, das ein Schiffstau bezeichnet, als auch der Prolog sind programmatisch: Als Prologsprecher fungiert ein göttlicher Stern, der einen Sturm verursacht hat, um eine Seereise – und damit einen weiteren Umzug – zu verhindern und das glückliche Ende vorzubereiten: Schauplatz der Komödie ist der Strand von Cyrene.35 Hierhin verschlug es vor Jahren Daemones ins Exil. Er war einst ein wohlhabender Bürger Athens, wurde jedoch von falschen Freunden um seinen Reichtum betrogen und bestreitet nun mit einem Landgut an der Küste seinen Lebensunterhalt. Überdies verlor er damals seine kleine Tochter an Piraten, die sie einem Zuhälter verkauften, der sie ebenfalls nach Cyrene brachte. Ein junger Mann aus Athen hat inzwischen ein Auge auf die Tochter geworfen und dem Zuhälter bereits eine Anzahlung für sie geleistet. Gleichwohl lässt dieser sich von einem Bekannten aus Sizilien dazu überreden, mit seinem Gewerbe dorthin umzusiedeln, wo die Marktlage angeblich günstiger ist. Als die Männer mit den beiden Prostituierten bereits in See gestochen sind, setzt der Sturm ein, das Schiff zerschellt, die Mädchen können sich im Rettungsboot von den Männern absetzen. Die Handlung beginnt unmittelbar nach dem Sturm.
Die Erfindung des Sturmes erlaubt dramaturgisch für die jungen Frauen nicht nur längere Auftrittsmonologe und eine Reflexion über das Thema erzwungenen Mobilseins und das Gefühl des Fremdseins, sondern zeigt auch sinnbildlich, dass nur eine Naturgewalt die Mädchen in die Lage versetzen konnte, der Fremdbestimmtheit und dem erzwungenen Ortswechsel zu entgehen. Während in den Menaechmi Sosicles immerhin mit einem gewissen Ziel unterwegs und ein Ende des Weges für ihn prinzipiell erreichbar war, sind die beiden über Bord gegangenen Hetären verloren: Ein Sklave beobachtet und kommentiert in einer Wortkulisse ihr Ringen, für sich im eigentlichen wie übertragenen Sinne Land zu gewinnen (Rud. 162–177).
Palaestras Auftrittsarie setzt ein mit der Aussage, dass es scheinbar keine Gerechtigkeit und keinen Lohn für moralisch einwandfreies Verhalten gibt:
nimio hominum fortunae minus miserae memorantur
quam in usu, experiundo is datur acerbum.
⟨satin⟩ hoc deo complacitum est, med hoc ornatu ornatam
in incertas regiones timidam eiectam?
hancine ego ad rem natam miseram me memorabo?
hancine ego partem capio ob pietatem praecipuam?
nam hoc mi haud labori est laborem hunc potiri,
si erga parentes aut deos me impiaui;
sed id si parate curaui ut cauerem,
tum hoc mi indecore, inique, immodeste
datis di.
Wenn man von Leid und Elend der Menschen nur spricht, ist es viel weniger schlimm – hart ist es, wenn man es selbst erlebt. Ist das der Götter Wille, dass ich in diesem Aufzug voller Angst in einer unbekannten Gegend an Land geworfen wurde? Werde ich einst sagen, dass ich Elende für das hier geboren wurde? Ist das das Los, das ich mir durch mein tadelloses Verhalten verdient habe? Denn diese Mühe auf mich zu nehmen wäre keine Mühe für mich, wenn ich mich gegen Eltern und Götter vergangen hätte. Aber nachdem ich mich immer darum bemüht habe, genau das zu vermeiden, da tut ihr Götter an mir ganz gewaltig Unrecht.
Plaut. Rud. 185–195
Wie in der Exposition von Sosicles und Messenio in den Menaechmi scheint auch dieser Monolog nicht erst in der aktuellen Situation gesprochen, denn wohl nicht zum ersten Mal findet Palaestra sich an einem ihr unbekannten Ort wieder und auch die Kleidung der Hetäre trägt sie schon länger. Der Seesturm bietet nur den Anlass, ihr Schicksal ihr selbst (und dem Publikum) deutlich vor Augen zu führen. Sie macht noch einmal klar, dass es lediglich unglückliche Zufälle waren, die sie in diese Situation gebracht haben. Überdies thematisiert der Monolog durch die zweimalige Verwendung des Verbs memorare (‚erwähnen‘ im Sinne von ‚ins Gedächtnis rufen‘36; 185. 189), dass fremde oder eigene Schicksalsschläge, erzählt man sie oft genug, mit der Zeit zum biographischen ‚Narrativ‘ werden und als selbstverständlich erscheinen.
Da bei dem Seesturm alles über Bord gegangen ist, auch die Kiste mit ihren früheren Erkennungszeichen, kann Palaestra nun nicht mehr mit dem üblichen Verlauf einer römischen Komödie rechnen, und darauf bauen, dass jemand vorbeikommt, der sie sucht und als Tochter freier Eltern erkennt:
libera ego prognata fui maxume, nequiquam fui.
nunc qui minus seruio quam si serua forem nata?
Ich war so frei geboren, wie man nur frei geboren sein kann – umsonst. Wie bin ich jetzt nicht weniger Sklavin, als wenn ich als Sklavin geboren wäre?
Plaut. Rud. 217-218
Diese Aussage ist eine selten ausführliche Thematisierung erzwungener Mobilität aus Sicht der Betroffenen.
Eine Art Parallelstelle mit umgekehrten Vorzeichen sind Bedenken, die die Tochter des Parasiten Saturio in der Komödie ‚Persa‘ äußert. Damit Saturio seine finanziellen Verhältnisse aufbessern kann, will er seine Tochter zum Schein an einen Zuhälter verkaufen, der erst sechs Monate in der Stadt wohnt und daher mit dem sozialen Mikrokosmos vor Ort noch nicht bekannt ist. Dazu soll seine (im Stück namenlos bleibende!) Tochter Namen, Wohnort und Geburt erfinden und zudem fremd aussehen.37 Sobald der Zuhälter Geld bezahlt hat, wird der Vater sie zurückfordern. Indes ist die Tochter mit dieser Maskerade gar nicht einverstanden, denn sie scheint unkalkulierbare Konsequenzen für ihren sozialen Status sogar im Umgang mit ihrem Vater zu haben: utrum pro ancilla me habes an pro filia? (Wer von den zweien bin ich denn jetzt deiner Meinung nach: deine Sklavin oder deine Tochter?; Persa 341). Und außerdem, so argumentiert sie weiter, sei es besser arm aber dafür unbescholten zu sein, denn wenn zur Armut noch ein schlechter Ruf „hinzuziehe“ (nam ad paupertatem si ammigrant infamiae …; 347), dann leide nicht nur der Ruf, sondern schwinde gleich die ganze Glaubwürdigkeit (fides; 348) einer Person. Ihre falsche Identität wird mit einem fingierten Brief beglaubigt. Mit dem Käufer entspinnt sich daraufhin ein doppelbödiges Gespräch, in dem vor allem die Anspielungen auf die Zeitangaben, wie lange sie als Sklavin wird arbeiten müssen, auch auf einer Metaebene gelesen werden können:
Virgo satis est dictum: quamquam ego serva sum,
scio ego officium meum, ut quae rogiter vera, ut accepi, eloquar.
Toxilus virgo, hic homo probus est. Virgo credo. Toxilus non diu apud hunc servies.
Virgo ita pol spero, si parentes facient officium suom.
Dordalus nolo ego te mirari, si nos ex te percontabimur
aut patriam tuam aut parentes. Virgo quor ego id mirer, mi homo?
servitus mea mi interdixit, ne quid mirer meum malum.
…
Dordalus at ego patriam te rogo quae sit tua.
Virgo quae mihi sit, nisi haec ubi nunc sum? Dordalus at ego illam quaero quae fuit.
Virgo omne ego pro nihilo esse duco quod fuit, quando fuit:
tamquam hominem, quando animam efflavit, quid eum quaeras qui fuit?
Toxilus ita me di bene ament, sapienter! atque equidem miseret tamen.
Tochter38 Ist ja gut. Obwohl ich Sklavin bin, kenne ich meine Pflicht, wenn ich gefragt werde, die Wahrheit zu sagen, wie ich sie gehört habe.
Toxilus Mädchen, der hier ist anständig.
Tochter Glaub ich.
Toxilus Nicht lange wirst du bei dem dienen.
Tochter Das hoffe ich wohl auch, wenn meine Eltern ihre Pflicht tun!
Dordalus Wundere dich bitte nicht, wenn wir dich nach deiner Heimat oder deinen Eltern fragen.
Tochter Warum sollte ich mich darüber wundern, lieber Mann? Mein Sklavenstatus verbietet mir, mich über das Unglück, das mir widerfahren ist, zu wundern.
…
Dordalus Ich wollte eigentlich wissen, wo deine Heimat ist.
Tochter Wo, wenn nicht dort, wo ich jetzt bin?
Dordalus Ich meinte eigentlich, wo du wirklich herkommst.
Tochter Was vorbei ist, ist für mich vorbei. Wie bei jemandem, der gestorben ist. Den fragst du auch nicht, wer er war.
Toxilus Herrschaften, klug geantwortet! Und so, dass sie mir doch auch irgendwie leidtut.
Plaut. Persa 615–621. 635–639
Indem die Szene zwischen verkaufter Hetäre und Zuhälter ausgespielt wird, eine Szene, die in der Regel den Stücken vorausgeht, und indem sie hier ‚gespielt‘ gespielt wird, macht sie den Zusammenhang von erzwungenem Orts- und Identitätswechsel umso deutlicher: Der Verkauf in die Sklaverei geht einher mit dem Verlust aller Verbindungen zu Personen und Orten und ist für die Betroffenen mit dem sozialen Tod gleichzusetzen.
Freilich kann diese Szene für das Publikum so nur dann als Spiel im Spiel in einer Komödie funktionieren, wenn Wiedererkennungsszenen ein markanter Teil des Gattungsskripts sind.39 So kann die Tochter immerhin die Erwartung äußern, dass ihr Vater seine Pflicht tun möge und sie aus dieser misslichen Lage befreien möchte (618). Dieser Wunsch soll und wird freilich aus der Perspektive der Tochter vor allem deswegen in Erfüllung gehen, weil die Trennung von ihrem Vater weder zeitlich lange noch räumlich weit zurückliegt. Ihre eigentliche Identität ist durch die Maskerade lediglich in Gefahr, aber nicht verloren. Wie bei Palaestras Klage zu sehen war (Rud. 185–219), besteht die Hoffnung, dass noch vorhandene Erkennungszeichen zu einer Wiederherstellung der früheren Identität führen könnten, nur implizit. Explizit formuliert wird sie nicht, auch ein aktiv Suchender gehört nicht dazu. Dazu ist dies aus Perspektive der Figuren, die nicht über metaliterarisches Gattungswissen verfügen, zu unwahrscheinlich.
Oft äußern sich die Hetären in Bezug auf ihre Mobilitätsbiographie und Identitätskrise wesentlich pragmatischer und arrangieren sich (notgedrungen) mit der neuen Situation am neuen Ort. Da ist in Epidicus zum Beispiel die Lautenspielerin Acropolistis, die auf Geheiß des Sklaven Epidicus dem senex des Stückes vorgaukelt, sie sei seine Tochter. Auf die Frage, warum sie gelogen habe, entgegnet sie sinngemäß, das sei nicht ihre Schuld, sie würde im Prinzip jeden mit Mutter oder Vater anreden, von dem sie Tochter genannt werde. Man habe ihr dieses Verhalten beigebracht (Epid. 587–591). So zeigt sich nicht nur, dass sie unter diesen Umständen Identität und soziale Nahbeziehungen verloren hat, sondern auch, dass sie eine andere auf Geheiß angenommen hat. Auch dieser Plot kann so nur funktionieren, wenn suchende Angehörige zur Erwartungshaltung der Figuren (und des Publikums) gehören.
Variationen der Fremden
Die Figur des Fremden hat das Potenzial, die Handlung zu dynamisieren, weil er nicht zum sozialen Mikrokosmos gehört, der auf der Bühne gezeigt wird. Nur in diesem Sinne ist er tatsächlich fremd. Das Begriffsspektrum im Lateinischen ist für die Zeit des Plautus auf dieses ‚nicht bekannt und nicht von hier‘ beschränkt, eine Ausgrenzung erfolgt mit dem Begriff nicht.40 Auch scheint damit keine weitere negative Konnotation verbunden, allenfalls in dem Sinne, dass sich der peregrinus am Ort eben nicht auskennt.41 Teilweise ist der Fremde an seiner Reisekleidung erkennbar.42 Eventuelle Sprachbarrieren werden nicht thematisiert.43
Als Ausnahme von den peregrini, die frei und zahlungskräftig vorbeikommen und die Welt im Stück durcheinanderbringen, darf die Komödie Epidicus gelten. Denn hier ist es eine Mutter, die sich auf die Suche nach ihrer Tochter gemacht hat.
In dieser Komödie hat Stratippocles, Sohn eines athenischen Bürgers, der seinerzeit selbst als Söldner zu Reichtum gekommen war, am Krieg gegen Theben teilgenommen und kehrt ohne Waffen, aber dafür mit erworbener Lautenspielerin und Schulden nach Hause zurück.44 Sein Einsatz als Militär war also zwar erfolgreich, immerhin gehört er zu den Siegern des Krieges, jedoch nicht so erfolgreich, dass er genügend Sold verdient hätte, um sich diese junge Frau leisten zu können. Dem Willkommen zu Hause steht ferner die Tatsache im Weg, dass er bereits eine Lautenspielerin besitzt, die sein Sklave Epidicus bei seiner Abfahrt in seinem Auftrag für ihn erworben und aufbewahrt hat (Epid. 46–48). Um den Unterhalt dieser ersten Lautenspielerin zu sichern, hat Epidicus seinem Herrn vorgegaukelt, es handle sich um dessen Tochter (Epid. 87f.) – was dieser, wie oben bereits zitiert, bereitwillig akzeptiert hat. Denn in seiner Zeit als Söldner hatte er in Epidaurus Verkehr mit Philippa, einer Frau, die jetzt in Theben wohnt. Sie haben eine gemeinsame Tochter (Epid. 635f.). Periphanes hat sie selbst zwar nur einmal gesehen (600), hat aber seinen Sklaven Epidicus mehrmals zu ihr nach Theben geschickt (639f.). Da Athen nun gerade mit Theben Krieg führte, ist es zumindest eine theoretisch mögliche Variante, dass unter den zum Verkauf stehenden Kriegsgefangenen die eigene Tochter ist. Diese Konstellation ermöglicht es, nun eine suchende Mutter auf die Bühne zu bringen und ihre Perspektive auf das Geschehen zu präsentieren:
Philippa si quid est homini miseriarum quod miserescat, miser ex animo est.
id ego experior, quoi multa in unum locum con-
fluont, quae meum pectus pulsant.
simul: multiplex ⟨me⟩ aerumna me exercitam habet,
paupertas, pavor territat mentem animi,
neque ubi meas spes collocem habeo usquam munitum locum.
ita gnata mea hostium est potita, neque ea nunc ubi sit scio.
Periphanes quis illaec est mulier, timido
pectore peregre adveniens
quae ipsa se miseratur?
Philippa Wenn es für Menschen ein Elend gibt, sodass man sie elend nennt, dann sind sie auch zutiefst elend. So geht es mir, bei mir kommt gerade alles an einem Ort zusammen, das mein Herz bis zum Hals schlagen lässt: Vielfacher Kummer hält mich auf Trab, Armut und Angst versetzen mich in Panik, und ich habe nicht den kleinsten Ort, an dem ich meine Hoffnung verorten könnte. Denn meine Tochter ist in Feindeshand und ich habe keine Ahnung, wo sie jetzt sein könnte.
Periphanes Wer ist diese Frau, die voller Angst von weither kommt und sich selber leidtut?
Plaut. Epid. 526–534
Philippa ist nach eigener Aussage in desolatem Zustand: Der Verlust der Tochter hat für sie höchste finanzielle Not sowie daraus resultierende existenzielle Sorgen zur Folge. Ihre gefühlte Hilf- und Orientierungslosigkeit drückt sich einer bildlichen Sprache aus, in der in dichter Folge das Lexem loc- vorkommt (in unum locum [an einem Ort] … collocem [verorten könnte] … munitum locum [befestigten Ort]) und unterstreicht, dass der unbekannte Aufenthaltsort der Tochter unmittelbare Auswirkungen auf die Mutter hat. Immerhin hat die Mutter für ihre Suche einen Plan. Darin unterscheidet sie sich von Menaechmus, der aufs Geratewohl Orte im Mittelmeer abfuhr, um durch Glück an Nachrichten über seinen Bruder zu kommen. Philippa ist nach Athen gekommen, um die Tochter mit Periphanes’ Hilfe ausfindig zu machen (Epid. 534–536). Ihre Suche ist im Radius eingeschränkt, sie kann zumindest vermuten, dass die Tochter in Athen ist und dass sie Periphanes als ihren Vater um Unterstützung bitten kann. Ihre Mobilität erscheint damit einerseits zielstrebiger, andererseits aber auch weniger frei als die der suchenden Männer, die ihre Nachforschungen nicht aus der Hand geben.
Zufällig trifft sie Periphanes vor seinem Haus; dieser charakterisiert sie in der oben zitierten Textstelle als timido pectore peregre adveniens, quae ipsa se miseratur (die voller Angst von weither kommt und sich selber leidtut; 533-534). Diese Aussage kann nicht nur auf die aktuellen Äußerungen Philippas bezogen werden, sondern könnte auch als Kommentar zur Gattungskonvention gelesen werden: Verschleppte Angehörige zu suchen ist in den Komödien ein Anlass, sich elend zu fühlen. Anders als in den Menaechmi erfolgt die Identifikation der Fremden als Mutter in dieser Komödie allerdings zügig und ist kein Grund für weitere Verwicklungen. Der Vater erklärt, er habe ihre Tochter bereits bei sich im Hause und lässt sie holen (567–569). Die Reaktion Philippas, remigrat animus nunc demum mihi (nun endlich ziehen meine Sinne wieder bei mir ein; 569), greift die Migrationsmetaphorik von weiter oben (531) auf und versinnbildlicht, dass der Weg zur Tochter auch ein Weg zu sich selbst war. Ihr Auftritt insgesamt dauert nicht sehr lange und nachdem die vermeintliche Tochter geholt wurde, ist die Mutter auf der Bühne nicht mehr präsent. Allerdings ist sie es, die den Schwindel auffliegen lässt (570–606) und am Ende ihrer Tochter zur Freiheit und standesgemäßen Wiedereingliederung in eine Gesellschaft verhilft. Aus dieser Konstellation lässt sich ablesen, dass die wiederhergestellte soziale Ordnung, in der alle zugehörigen Mitglieder des Mikrokosmos an ‚ihrem Platz‘ sind, aus männlicher Perspektive konzeptionalisiert ist und daher der weitere Verbleib der Mutter nicht relevant ist.45
Eine zweite Ausnahme und Variation zum Umgang mit dem Fremden bildet das Stück Poenulus. Hier findet ein vermögender Mann aus Karthago, Hanno, der auf der Suche nach seinen beiden samt Amme in ihrer Kindheit im Alter von vier und fünf Jahren verschleppten Töchtern ist, in Calydon nicht nur diese beiden, sondern auch den als Kind im Alter von sieben Jahren entführten Sohn seines inzwischen verstorbenen Bruders wieder. Dieser wurde seinerzeit von einem inzwischen ebenfalls verstorbenen kinderlosen Bürger aus Calydon und Gastfreund Hannos adoptiert und zum Erben eingesetzt. Die Kinder wurden von einem Zuhälter aufgekauft, der der günstigen Marktlage wegen nun ebenso samt seinen Mädchen nach Calydon gezogen ist. Aus so vielen Zufällen und wiedergefundenen Verwandten resultiert eine doppelte peregrinus-Szene im Stück.
Ähnlich wie Philippa in Epidicus verfügt Hanno als suchender Fremder über eine Strategie; jedoch ist der Ort, an dem er fündig werden könnte, noch unbekannt. Sein Plan wird bereits im Prolog erläutert:
sed pater illarum Poenus, postquam eas perdidit,
mari te⟨rraque⟩ usquequaque quaeritat.
ubi quamque in urbem est ingressus, ilico
omnes meretrices, ubi quisque habitant, invenit;
dat aurum, ducit noctem, rogitat postibi
unde sit, quoiatis, captane an surrupta sit,
quo genere gnata, qui parentes fuerint.
ita docte atque astu filias quaerit suas.
et is omnis linguas scit, sed dissimulat sciens
se scire: Poenus plane est. quid verbis opust?
Aber der Vater der Mädchen, ein Punier, sucht sie, seitdem er sie verloren hat, nun überall zu Wasser und zu Lande ohne Unterlass. Jedes Mal, wenn er in eine neue Stadt kommt, macht er alle Hetären ausfindig und auch, wo sie wohnen. Er gibt ihnen Gold, mietet sie für eine Nacht und fragt sie dann aus, woher sie sind, aus welchem Land, ob kriegsgefangen oder verschleppt, aus welcher Familie sie kommen, wer ihre Eltern waren. So klug und schlau sucht er nach seinen Töchtern. Und alle Sprachen kennt er! Aber er hält aus gutem Grund geheim, dass er sie kennt. Ein echter Punier eben. Was soll ich noch groß sagen?46
Plaut. Poen. 104–113
Damit unterscheidet Hanno sich in seinem Verhalten signifikant von den anderen Fremden, wie etwa dem miles gloriosus, der das Bordell zu seinem Vergnügen und zur Demonstration seines Vermögens aufsucht (z.B. Mil. 58–71). Und es gibt noch eine weitere Auffälligkeit: Er ‚inszeniert‘ in seinen Gesprächen mit den Hetären quasi typische Ankunftsszenen für Fremde. Indem er sich nach ihrer Herkunft und ihren Eltern erkundigt, stellt er ihnen genau die Fragen, mit der sonst die ankommenden Freien konfrontiert sind. Somit tauscht er mit ihnen quasi die Rollen und lässt sie zu peregrinae werden. So erscheint er als geduldiger Zuhörer und mustergültiger Rezipient wider Willen für die ganzen Schicksale und verlorenen (weiblichen) Identitäten, wie das Publikum sie von Palaestra gehört hat.47
Doch auch im Auftreten ist er anders als die übrigen Fremden. Die Komödie Poenulus ist der seltene Fall, dass Sprachbarrieren thematisiert werden. Allerdings verwendet sie sie nicht für komische Effekte und Missverständnisse, die durch Unkenntnis der fremden Sprache in der Kommunikation mit dem peregrinus entstehen, vielmehr wird die Mehrsprachigkeit als Zugewinn und Überlegenheit des Fremden verbucht.48 Und es ist zudem der seltene Fall, dass die Sprache als Teil der Identität einer Person thematisiert wird. So hat Hannos Neffe Agorastocles seine Herkunftssprache inzwischen nämlich verlernt und kann seinem Onkel nicht auf Punisch antworten:
Hanno adibo ⟨ego⟩ hosce atque appellabo Punice.
si respondebunt, Punice pergam loqui;
si non, tum ad horum mores linguam vortero.
Milphio quid ais tu? ecquid commeministi Punice?
Agorastocles nihil edepol. nam qui scire potui, dic mihi,
qui illim sexennis perierim Carthagine?
Hanno pro di immortales! plurumi ad illum modum
periere pueri liberi Carthagine.
Hanno Zu denen geh ich hin und rede sie auf Punisch an. Wenn sie antworten, rede ich weiter Punisch. Wenn nicht, dann nehme ich ihre Sprache.
Milphio (zu Agorastocles) Was sagst du jetzt? Kannst du denn noch Punisch?
Agorastocles Ach nein, überhaupt nicht. Wie sollte ich auch, sag’s mir, nachdem ich als Sechsjähriger in Karthago verloren ging?
Hanno Wohl wahr! Da sind furchtbar viele freie Kinder auf diese Weise in Karthago verloren gegangen.
Plaut. Poen. 982–989
Anders als der verschleppte Neffe, der durch Adoption in den sozialen Mikrokosmos am neuen Ort integriert wurde und mit seiner alten Identität buchstäblich auch seine Sprache und Freiheit verloren hat (sexennis perierim [als Sechsjähriger ging ich in Karthago verloren] … plurimi … periere pueri liberi [sehr viele freie Kinder sind verloren gegangen]; 987–989), ist und bleibt Hanno, obwohl bereits länger suchend, Bürger einer anderen Stadt und verfügt damit über die Sprache und Identität eines freien Mannes. Als peregrinus kann er diese Möglichkeiten zu seinem Vorteil einsetzen.
Zudem ist Hanno bereits durch seine Kleidung und seine Begleitung, die bei seinem Auftritt kurz vorher durch Milphio und Agorastocles kommentiert wird, als Fremder zu erkennen. In den anderen Komödien spielt das keine Rolle.49 Wie sehr Hanno sich von den anderen Fremden zudem abhebt, wird als Kontrast im Stück selbst deutlich gemacht. Denn Agorastocles schickt den Sklaven Collybiscus vor, um den Zuhälter hinters Licht zu führen und ihm einen solventen Fremden vorzuspielen. Zudem werden entsprechend Zeugen angeheuert:
Collybiscus sed ita adsimulatote quasi ego sim peregrinus.
Advocatus scilicet, et quidem quasi tu nobiscum adveniens hodie oraveris,
liberum ut commostraremus tibi locum et voluptarium,
ubi ames, potes, pergraecere.
Collybiscus eu, edepol mortales malos.
Collybiscus Aber tut auch so, als wäre ich ein Fremder. Zeuge Klar. Und auch, als ob du heute angekommen wärst und uns gebeten hättest, dir ein ungestörtes Plätzchen zu deinem Vergnügen zu zeigen, wo du vögeln, saufen und einen auf Grieche machen kannst.50
Collybiscus (zu Agorastocles) Wow, sind die durchtrieben.
Plaut. Poen. 600–604
Der Witz der Szene besteht nicht nur darin, dass es einer der servi des Stückes ist, der den potenten Fremden gibt, sondern auch, dass sie ihm einen „freien Ort“ (liberum … locum) zeigen sollen, sodass der erzwungen migrierte Unfreie quasi in der Wahl seines Aufenthaltes seinen Neigungen folgen könnte. Zudem wird das Verhalten an einem solchen „Vergnügungsort“ (voluptarium) als explizit griechisch konnotiert und der suchend-fragenden Strategie des Fremden aus Karthago gegenübergestellt. Der ‚gespielte‘ peregrinus, der in der Komödienkonvention viel vertrauter erscheint, dient so als Kontrastfolie zum ‚echten‘ Fremden im Stück.
Als Klischee des peregrinus in den Komödien lassen sich hier noch einmal folgende Eigenschaften ablesen: Er ist männlich, frei, Bürger einer griechischen Stadt und sexuell wie finanziell vermögend. Hanno erfüllt dieses Klischee einerseits, andererseits unterläuft er es: Er ist nicht Bürger einer griechischen Stadt, sondern Karthagos, er sucht das Bordell auch nicht (ausschließlich) zu seinem Vergnügen auf. Dem entsprechen Kleidung und Sprache. Für seine buchstäbliche Sonderrolle gibt es indes noch weitere Indizien im Stück, sie finden sich hauptsächlich im Prolog.51 Der Prologsprecher formuliert Verhaltensregeln für das Publikum, hierfür werden einzelne soziale Gruppen angesprochen, so ergibt sich der Eindruck, dass die gesamte Bandbreite der Stadtbevölkerung zuschaut und über das Geschehen auf der Bühne urteilen soll.52 Der Prologsprecher spricht mit Bezug auf sich, das Publikum und den Inhalt der Komödie von „Migration“: ad argumentum nunc vicissatim volo / remigrare, ut aeque mecum sitis gnarures (ich will nun wieder zum Stück umziehen, damit ihr euch zusammen mit mir dort auskennt; 46f.).53 Er macht die Zuschauer zu Ortskundigen, gibt der Komödie einen Namen und unterrichtet das Publikum über ihre Herkunft (48–55). Das Publikum wird auf diese Weise zu ‚Einheimischen‘, alle Fragen, die man sonst einem Fremden stellen würde, sind geklärt.54 Sprachbarrieren gibt es keine, denn die Komödie liegt Latine vor (54).55 Nicht zuletzt macht der Prologsprecher am Ende deutlich, dass er gleich ein anderer sein wird (valete, adeste. ibo, alius nunc fieri volo [Macht’s gut, aber bleibt dabei. Ich gehe. Ich will jetzt ein anderer werden]; 126) – während das Publikum bleibt. Hanno verfügt über ähnliche Eigenschaften: Er spricht mehrere Sprachen, zwischen denen er wechseln kann, bewegt sich frei zwischen den Orten, dies macht er docte atque astu (kundig und schlau; 111), denn er beherrscht die Kunst der Verstellung (dissimulat sciens [verstellt sich klug]; 112), so kann er auf der Suche nach seinen Töchtern zugleich die Rolle des Fremden und des Publikums, das sich für die ‚Migrationsgeschichten‘ interessiert, übernehmen.56
An der mehrdeutigen und metatheatralisch lesbaren Figur des Hanno wird also deutlich, dass dem peregrinus in seiner Spielart der Komödie die entscheidende Rolle zukommt, das Vorher und Nachher in der Biographie der Figuren, das Innen und Außen in der Gesellschaft und das Auf und Vor der Bühne zur Disposition zu stellen.
Fazit
Der vorliegende Beitrag hatte zu Beginn vorgeschlagen, zum gängigen Rollenrepertoire die Figur des Fremden hinzuzufügen. Seinen Ausgang nahm der Vorschlag aufgrund der Beobachtung, dass an- und vorbeikommende Fremde oft die entscheidende Wendung der Handlung einleiten und somit für ein strukturelles Merkmal der Komödien verantwortlich sind. Außerdem war zu sehen, dass entsprechend diesem Vermögen, die bestehenden sozialen Verhältnisse zu verändern, der peregrinus mit der Vorstellung einer Person verknüpft ist, die in ihrer Bewegung (mehr oder weniger) selbstbestimmt ist und einigermaßen vermögend.
Wenn eine Person, die mobil ist, zur wiedererkennbaren Figur einer Gattung werden kann, die sich an ein zeitgenössisches Publikum wendet,57 dann liegt auf der Hand, dass Mobilität im Kontext (sowohl der Komödien des Plautus als auch dem historischen) ein bemerkenswertes Phänomen darstellt. Dies ist auch am Figurenrepertoire der Komödie abzulesen, das bei genauerem Hinsehen nahezu komplett in der einen oder anderen Weise vor oder während eines Stückes migriert ist. Nicht jede Komödie thematisiert alle Aspekte, aber alle Komödien zusammen ergeben ein Mosaik unterschiedlicher Perspektiven auf Mobilität und zwar sowohl aus der Außen- als auch aus der Innensicht. An den Figuren und ihrem jeweiligen Bewegungsmuster war zu sehen, dass Mobilität vor allem durch die Kategorien Status und Geschlecht, zum Teil auch durch die Kategorie Alter strukturiert ist. Während Versklavung und erzwungenes Unterwegssein sowohl für Männer wie für Frauen fast jeden Alters unmittelbar zusammenhängen, ist die scheinbar selbstbestimmte Mobilität unter den Freien meist männlich konnotiert. Damit hängt auch zusammen, dass die Figur des peregrinus in erster Linie als Mann konzipiert ist. Wie gesehen, gab es von dieser Konvention jedoch signifikante Abweichungen. Nicht alle ‚Fremden‘ waren vermögend, nicht alle verhielten sich nach dem erwarteten Muster und nicht alle waren Männer. Der unterbreitete Vorschlag einer neuen Figur sollte abschließend also dahingehend modifiziert werden, dass es sich nicht um eine Figur im Sinne der etablierten Typen handelt, die nach Status, Alter, Milieu bzw. Beruf und Geschlecht katalogisiert sind, sondern dass es sich um eine Figurenvariante handelt, die quer zu den etablierten Rollen liegt, gerade hierdurch aber kreatives Potenzial besitzt, um scheinbare Gewissheiten in Frage zu stellen.
Dieser Befund ist vermutlich den Erfahrungen, Hoffnungen und Ängsten des zeitgenössischen Publikums geschuldet: In einer durch Expansion und Mobilität unübersichtlich werdenden Welt, in der bei einem immer größer werdenden Teil der Bevölkerung mit einer ‚Mobilitätsbiographie‘ zu rechnen ist, sind Identitäten fragil und prekär. In einer solchen Welt hätte theoretisch im Prinzip jeder und jede ankommende Unbekannte das Potential, das bestehende Gefüge eines sozialen Mikrokosmos zu stören.58