Narrative Performanz. Vorschlag zu einer neuen Lektüre von Geschlecht in taciteischen Texten

DOI : 10.54563/eugesta.1133

Abstract

Tacitus kennt Geschlecht nicht als Kategorie der historischen Analyse. Und dennoch schreibt sich Geschlecht in seinen Text ein und bestimmt sein historisches Urteil: In der Darstellung männlicher und weiblicher Figuren verwendet Tacitus die Konzepte von Weiblichkeit und Männlichkeit des Geschlechtsdiskurses seiner Zeit. Er konstruiert seine Figuren, indem er ihnen bestimmte Konzepte aus dem breiten Spektrum der Bilder, mit denen die Kultur des Prinzipats die Vorstellungen von Geschlecht verbindet, zuordnet. Damit lassen sich aus den taciteischen Texten zwar normative Konzepte von Männlichkeit und Weiblichkeit erkennen, aber kein Idealtypus einer römischen Frau oder eines römischen Mannes. Aus der Untersuchung der Darstellung des Todes der zwei Kaiser Otho und Vitellius in den Historien, der biographischen Konstruktion im Agricola und der Ausgestaltung von weiblichen und männlichen Figuren in den Annalen entwickelt der Beitrag die These, dass die im Text dargestellten Figuren Ergebnis einer narrativen Performanz sind, in der Geschlechtsvorstellungen mit gesellschaftlichen, politischen und situativen Positionen verknüpft werden. Und er postuliert, dass diese intersektionale narrative Performanz auf eine Performanz von Geschlecht in der gesellschaftlichen Realität verweist.

Outline

Text

Für die Untersuchung geschlechtsspezifischer Normen der römischen Gesellschaft zur Zeit Trajans sind die Texte des Geschichtsschreibers Tacitus ein höchst fruchtbarer Untersuchungsgegenstand. Doch zugleich setzt das Textmaterial der Leserin oder dem Leser eine verwirrende Widerständigkeit entgegen: Hat man sich erst einmal durch die Analyse und serielle Aufbereitung des Textes zur Erkenntnis normativer Männlichkeit und Weiblichkeit vorgekämpft, kann man nur feststellen, dass kaum eine weibliche oder männliche Figur der Erzählung eindeutig nach diesen Normen (seien sie positiv oder negativ gewertet) ausgestaltet ist. Manche Untersuchungen, die von einer deskriptiven Definition von Geschlecht ausgehen, postulierten deshalb eine Pluralität von Männlichkeiten und von Weiblichkeiten – ein Postulat, das sich konzeptuell kaum je befriedigend begründen liess. Ich setze dieser deskriptiven Auffassung in den folgenden Überlegungen ein konsequent analytisches Verständnis von Geschlecht entgegen, das zum Vorschlag führen wird, die Inszenierung der weiblichen und männlichen Figuren durch den Geschichtsschreiber als eine narrative Performanz zu erklären, die (wie vielfach übersetzt auch immer) auf die Performanz von Geschlecht von Akteurinnen und Akteuren im gesellschaftlichen Alltag verweist.

Wenn ich die deskriptive der analytischen Verwendung des Geschlechtsbegriffs gegenüberstelle, greife ich auf die Unterscheidungen zurück, mit denen Joan Scott vor einem Vierteljahrhundert Geschlecht als eine «nützliche Kategorie historischer Forschung» begründete1. Zwar ist Scott um die Jahrtausendwende kritisch auf dieses Postulat zurückgekommen2: Angesichts der inflationären Verbreitung des Begriffs gender stellte sie fest, dass das Konzept sein provozierend kritisches und politisches Potential eingebüsst hatte. Tatsächlich hatte die Gegenüberstellung von gender als ‹sozialem› und sex als ‹biologischem› Geschlecht eine Pervertierung des ursprünglichen Kampfbegriffs gegen den bis vor drei Jahrzehnten weithin dominierenden (und seit den 1990er Jahre unter der Maske biotechnischer Forschung erneut sich ausbreitenden) Biologismus bewirkt – die Opposition von sex und gender führte zur Legitimierung einer Auffassung, die Geschlechtsdifferenzen als ‹biologisch› begründet verstand in einem Verständnis von ‹Biologie›, die deren historisch-kulturelle Bedingtheit verkennt. Auf die Gefahr einer solchen Interpretation der englischen Begriffsopposition hatte Gisela Bock schon in den 1980er Jahren aufmerksam gemacht und vorgeschlagen, die Vorteile der deutschen Sprache zu nutzen und auf die englische Begrifflichkeit zu verzichten3: Ich folge diesem Vorschlag und werde deshalb nicht, wie es im deutschen Sprachraum oft üblich ist, das englische Wort gender, sondern den Begriff Geschlecht verwenden, der das englische sex und gender zugleich umfasst. Unter dieser Voraussetzung aber behaupte ich, dass Geschlecht nach wie vor nicht nur eine nützliche, sondern eine notwendige Kategorie historischer Forschung ist: als eine produktive und unverzichtbare Fragestellung4.

Grundlegend für Scotts Definition war die Forderung, Geschlecht als eine analytische Kategorie zu verwenden: Weiblichkeit und Männlichkeit dienen nicht zu einer Beschreibung von Frauen und Männern, Geschlecht, das sind vielmehr die «multiple and contradictory meanings attributed to sexual difference»5. Deshalb bilden die Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit ein ‹Reservoir› von Bedeutungen, aus dem sich die handelnden Subjekte in der historischen Wirklichkeit genauso bedienen wie der Autor, der männliche und weibliche Figuren ausgestaltet. Daraus nun ergibt sich die These, die im Folgenden zur Diskussion steht: Die taciteischen Texte führen die Performanz von Geschlecht vor.

Wenn wir taciteische Texte lesen, haben wir es selbstverständlich mit narrativer Performanz zu tun: Tacitus setzt die Figuren seiner Erzählung in Szene und ordnet ihnen durch die beschriebenen Handlungen und Verhaltensweisen eine Identität im Spektrum der Geschlechtsvorstellungen zu. Obwohl Performanz in der Erzählung aufs Engste mit Sprache verbunden ist, verwende ich den Begriff in einem erweiterten Sinn, der über das rein linguistische Phänomen eines «Handelns mit Worten»6 hinausweist: Mit dem Begriff sollen Praktiken bezeichnet werden, die wir in der Geschichtserzählung zwar nur beschrieben finden, aber eine Transformation dessen sind, was Judith Butler für Handeln in der Realität feststellt: «acts, gestures, and desire produce the effect of an internal core or substance, but produce this on the surface of the body, through the play of signifying absences that suggest, but never reveal, the organizing principle of identity as a cause. Such acts, gestures, enactments, generally construed, are performative in the sense that the essence or identity that they otherwise purport to express are fabrications manufactured and sustained through corporeal signs and other discursive means. That the gendered body is performative suggests that it has no ontological status apart from the various acts which constitute its reality»7.

Der performative Akt, den ich für das Korpus der Schriften des Tacitus postuliere, schafft die Realität der Figuren der Geschichtserzählung, die sich aus Mosaiksteinen weiblich und männlich konnotierter Bedeutungen von Geschlechtsdifferenz zusammensetzen und sich zugleich mit ihrer gesellschaftlich-politischen Position und ihrem Rechtsstatus überkreuzen. Das Ergebnis ist die Vielfalt von Geschlechtsidentitäten der Figuren, die in den taciteischen Werken ausgestaltet sind: Soldaten sind Männer auf andere Weise als ihr Feldherr oder ein Schauspieler, und die weibliche Identität der mit einem Senator verheirateten matrona unterscheidet sich radikal von jener der Gattin eines Handwerkers, von einer Freigelassenen oder einer Sklavin8. Und diese Differenzen haben nichts mit einer Pluralität von Männlichkeiten und Weiblichkeiten, sondern mit der unterschiedlichen performativen Umsetzung der normativen Kategorien zu tun.

Die These soll in drei Schritten begründet und überprüft werden: Zunächst werde ich den Tod der zwei Kaiser und Feldherren Otho und Vitellius einander gegenüberstellen und den beiden Feldherren das Verhalten ihrer Soldaten; diese Konfrontation der Beschreibung unterschiedlicher Figuren wird zum Problem hinführen, dass eine einheitliche Männlichkeit der Figuren der taciteischen Geschichtserzählung nicht zu finden ist. Und dennoch lässt sich, wie im zweiten Abschnitt zu zeigen ist, aus der Analyse der taciteischen Texte eine normative Geschlechtsvorstellung erkennen, die den Fächer der gesellschaftlichen Bedeutungen von Weiblichkeit und Männlichkeit umreisst und sich in die Ausgestaltung der handelnden Figuren der Geschichtserzählung ein-schreibt9. Diese Figuren sind aber keineswegs ‹Idealtypen› im Sinne einer soziologischen Modellkonstruktion, die schlicht die geschlechtsspezifischen Normen verkörpern würden: Im dritten Teil meiner Überlegungen werden einige AkteurInnen der historiographischen Darstellung genauer betrachtet werden, die Elemente von Weiblichkeit und Männlichkeit sowohl in normentsprechender Ausprägung wie auch gegen die normativen Vorstellungen vereinen; sie lassen das breite Spektrum möglicher Geschlechtsidentitäten erkennen, die sich aus der Verknüpfung und Überschneidung von geschlechtsspezifischen Normen mit dem gesellschaftlichen und Freiheitsstatus, der verwandtschaftlichen Position und dem situativ bestimmten Handeln ergeben. Wenn sich daraus auch klar die performative Tätigkeit des Autors erkennen lässt, der die Männlichkeit und Weiblichkeit seiner Figuren in Überlagerung mit anderen gesellschaftlich bestimmten Attributen erzählend konstruiert, so muss in einem vierten Schritt die Frage nach dem Handlungsspielraum aufgegriffen werden: Wie frei ist ein Geschichtsschreiber in dieser geschlechtsspezifischen Ausgestaltung seiner AkteurInnen? Damit will die am historiographischen Text untersuchte These abschliessend auf die grundlegende Problematik hinführen, die in der historischen Lektüre der Geschichtserzählung besteht: Die historische Textanalyse zielt zwingend über den Text hinaus auf die Erkundung vergangener gesellschaftlicher Wirklichkeit – inwiefern wird uns die textuelle Geschlechtsperformanz erlauben, die aussertextuellen Praktiken von Geschlechtsperformanz in der römischen Gesellschaft der Zeit des Tacitus zu erfassen?

I. Sterbende Feldherren und die fragwürdige Männlichkeit römischer Soldaten

Wir befinden uns im Frühjahr des Jahres 69 u.Z. Die Herrschaft in Rom ist umstritten: nach dem erzwungenen Suizid des Kaisers Nero im Juni 68 folgte ihm Galba als princeps. Er wurde schon sechs Monate später ermordet. Seit dem 15. Januar 69 ist Marcus Salvius Otho princeps des römischen Reiches. Doch auch seine Herrschaft ist nicht gesichert: Aulus Vitellius geht mit seinen Truppen gegen ihn vor. An einem Tag im April des Jahres 69 u.Z. wartet der princeps Otho in Brixellum auf die Kunde vom Ausgang der Schlacht, die seine Truppen gegen jene des Usurpators Vitellius in der Nähe des Dorfes Bedriacum ausfechten10. Er erwartet die Nachricht, wie Tacitus schreibt, in aller Ruhe und consilii certus, «sicher in seinem Entschluss». Nach ersten Gerüchten bestätigen die dem Kampf Entflohenen, dass «die Sache verloren» sei11. Obwohl die Soldaten seiner Umgebung dem Feldherrn ihre Kampfesbereitschaft beteuern, lässt sich Otho in seinem Entschluss nicht beirren; er entgegnet ihnen, es wäre ein zu hoher Preis für sein eigenes Leben, wenn er ihren Kampfeswillen und ihre Tapferkeit weiteren Gefahren aussetzen würde. Umso schöner sei sein Tod, je mehr sie Hoffnungen auf sein Weiterleben zeigten12. Tacitus lässt den Feldherrn in seiner Abschiedsrede betonen, er wolle ein exemplum, ein Beispiel, sein, das die Nachwelt beurteilen solle – und er scheint sich des Urteils gewiss: «Andere mögen die Herrschaft länger behalten, niemand wird sich mutiger von ihr getrennt haben»13. Otho, zum Suizid entschlossen, zeichnet sich in der Darstellung des Tacitus in den Stunden vor seinem Tod aus durch constantia und destinatio, durch die Festigkeit seines Entschlusses14; er überzeugt die Jüngeren mit seiner auctoritas, dem Ansehen, und die Älteren durch preces, die Bitten, die er mit ruhiger Miene und mit festen Worten (placidus ore, intrepidus verbis) vorträgt; er verteilt Geldgeschenke mit Sparsamkeit und nicht, als ob er gleich sterben werde15. Otho ermahnt seinen Neffen, Salvius Cocceianus, mit gestärktem Mut das Leben in Angriff nehmen (erecto animo capesseret vitam), ihn als Onkel zwar nicht zu vergessen, aber ihn auch nicht allzu sehr in Erinnerung zu behalten; indem er, Otho, als erster nach den Juliern, den Claudiern und den Serviern die Herrschaft einer neuen Familie durchgesetzt habe, sei dem Namen Salvius und den Nachkommen genügend Würde verschafft worden16. Otho schickt alle weg, ruht sich aus, als ihm ein Krawall der unbeherrschten Soldaten gemeldet wird: Sie bedrohen alle mit dem Tod, die das Lager verlassen wollen. Der Feldherr tadelt scharf die Urheber der Meuterei und sorgt dafür, dass die Abziehenden unbehelligt bleiben. Dann zieht er sich zurück, trinkt Wasser, lässt sich zwei Dolche bringen, deren Schärfe er prüft und von denen er einen unter das Kopfkissen legt; er verbringt eine ruhige Nacht und findet sogar in den Schlaf; beim Anbruch des Tages stürzt er seine Brust in den Dolch (luce prima in ferrum pectore incubuit). Die Leiche wird eilig verbrannt und bestattet: darum hatte Otho gebeten, um zu verhindern, dass der Kopf abgeschlagen und damit böse Spiele getrieben würden17.

Tacitus gestaltet in dieser Passage kunstvoll einen selbstgewählten und ehrenvollen Tod aus für eine Figur, deren Jugendzeit er mit durchaus abwertenden Epitheta versehen hatte: incuriose, «nachlässig», habe er seine Kindheit, petulanter, «ausgelassen», seine Jugend verbracht18. Hier aber wird die Figur Othos auf eine Weise gezeichnet, die Eingang finden könnte in die Sammlungen exemplarischer Todesarten berühmter Männer, die exitus illustrium virorum19. In dieser Beschreibung eines exemplarischen Todes finden sich Eigenschaften, die auf die Qualitäten eines hervorragenden Feldherrn und – so möchte ich erst mal behaupten, bevor das Postulat weiter unten kritisch zu prüfen sein wird – auf eine exemplarische Männlichkeit hinweisen.

Die Szene des Lebensendes von Otho in der Mitte des zweiten Buches der Historien bildet den Abschluss eines ersten Erzählstranges, der mit der Ermordung des Vorgängers Galba in der Mitte des ersten Buches einsetzt, und darauf folgt die taciteischen Darstellung der knapp acht Monate der Herrschaft des Vitellius; das dritte Buch endet mit dem Tod dieses dritten Usurpators innerhalb eines knappen Jahres20. Die zwei principes dominieren damit die ersten drei Bücher der Historien, und ein Vergleich der beiden Todesszenen ist aufschlussreich: Das Ende von Othos Nachfolger Vitellius lässt eine narrative Männlichkeitskonstruktion erkennen, die in erstaunlicher Konsequenz den positiv gewerteten Attributen des heldenhaft den eigenen Tod inszenierenden Herrschers die Schmach der Gegenfigur gegenüberstellt. Zeichnet sich Otho durch die Sorge um das Schicksal seiner Soldaten aus, das er in der Abschiedsrede aufgreift, wird Vitellius charakterisiert durch seine Unfähigkeit, die Soldaten zu bestärken; er tritt nicht vor Armee oder Volk, sondern hält sich in seinen Gärten versteckt21. Der Sparsamkeit des Otho wird die Luxus-Versessenheit des Vitellius gegenübergestellt22; der befriedigten Feststellung Othos, er habe seinem Namen und damit auch seinen Nachkommen zu Ehre verholfen, steht das «Vergessen» von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Vitellius gegenüber23, dem Mut des ersteren die Ängstlichkeit des letzteren24. Vitellius weiss keine Entscheidungen zu fällen, er ist incertus animi («von unsicherem Gemüt») oder besitzt socors animus, einen «stumpfen Sinn»25: auf diese Weise gibt er die Negativfolie für die constantia des Otho ab. Dieser trinkt Wasser am Vorabend seines Suizids, Vitellius jedoch ist temulentus: er betrinkt sich in bedrohlicher Situation26. Und schliesslich stellt der Text dem vorausschauende Befehl Othos, eine eilige Bestattung solle der Schändung seiner Leiche zuvorkommen, die deformitas exitus, die «Würdelosigkeit des Todes» des Vitellius entgegen, dessen toten Körper der «Pöbel mit derselben Niedertracht verhöhnt wie es dem lebenden Vitellius gehuldigt hatte»27.

In der Darstellung des Todes der zwei principes lässt sich ein Muster römischer Männlichkeit erkennen, das Tacitus in der Gegenüberstellung von Otho und Vitellius in positiver und negativer Exemplarität – bis zur wörtlichen Übereinstimmung28 – vorlegt. Doch diese im Kontrast von Normentsprechung und Normverletzung vermeintlich einfache Ausgestaltung der Bedeutung von Männlichkeit gewinnt an Komplexität, wenn daneben die normative Erwartung29 an die Soldaten der beiden Feldherren gestellt wird. Übereinstimmend mit den exemplarischen Eigenschaften des Feldherrn und princeps Otho zeichnen sich gute Soldaten zwar aus durch die Todesbereitschaft im Dienste ihrer Aufgabe30 und Otho anerkennt ihre virtus31, doch die männliche «Tugend» hat andere Inhalte als die virtus eines Feldherrn: Während die eigenständige Entschlusskraft des Otho hervorgehoben und die Abhängigkeit des Vitellius von Ratschlägen anderer kritisiert wird, werden exemplarische Soldaten mit der Wortfolge obsequium, parendi amor, virtus, «Unterwerfung, Gehorsamkeitsbereitschaft, Tugend», umschrieben32. Als ein zweiter, grundlegender Unterschied der Bedeutung von virtus für den einzelnen Aristokraten und für die Soldaten zeigt sich für letztere, dass ihr Handeln gerade nicht durch Mässigung und Selbstbeherrschung geprägt sein soll: Im diametralen Gegensatz dazu gehören ferocitas, «ungezähmter Mut»33 und atrocitas, «Grausamkeit»34, zu den hervorragenden Qualitäten von Soldaten, die zu diesen Eigenschaften durch ira35, furor und instinctus36 motiviert werden, durch «Zorn, Wut und Instinkt».

Die hier paraphrasierten Passagen zur Darstellung von Soldaten und der Schilderung des Todes von Otho und Vitellius in den Historien des Tacitus werfen die Frage auf, was Männlichkeit im taciteischen Text ist: Sollte Otho der exemplarische Mann sein und Vitellius sein kontrastives Gegenbild, wären dann die Soldaten mit ihrem furor keine Männer? So einfach kann Geschlecht in den taciteischen Texten nicht gefasst werden: Die für Soldaten positiv gewerteten Qualitäten von Grausamkeit und Wut stehen der ruhigen Ausgeglichenheit des exemplarischen Verhaltens eines Otho in seinem Suizid genauso gegenüber wie der unentschlossenen Ängstlichkeit eines Vitellius. Doch sie alle sind männliche Figuren, die der Senator und Geschichtsschreiber Tacitus in Szene setzt auf der Grundlage seines Vorstellungshorizontes, d.h. im Rahmen seiner Wahrnehmungs-Möglichkeiten und der Konzepte, die ihm zur Erklärung und Einordnung der wahrgenommenen Phänomene zur Verfügung stehen. Und zu dieser diskursiven Bedingtheit37 des Autors Tacitus gehören ganz selbstverständlich die gesellschaftlichen Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit.

2. Geschlecht in den Annalen

Lesen wir die Annalen, so sind wir mit einer Vielzahl von männlichen und einer weit geringeren, aber dennoch beachtlichen Zahl von weiblichen Figuren konfrontiert, die der Autor als AkteurInnen der Geschichte vom Tod des Augustus bis zum Ende des julisch-claudischen Kaiserhauses mit Nero in Szene setzt. Die Erzählung ihres Handelns ist fast immer von einer Wertung begleitet, die sich aus dessen Konformität mit gesellschaftlichen Normen oder aus deren Verletzung begründet. Eine geschlechtsspezifische Lektüre kann sich diese taciteischen Wertungen zu Nutze machen: Die systematische Analyse des Handelns der Figuren38 lässt die Elemente erkennen, aus denen sich das normative Muster von Männlichkeit und Weiblichkeit zusammensetzt, das die Darstellung prägt.

2.1 Normative Männlichkeit

Die Merkmale von Männlichkeit im taciteischen Text erweisen sich als sehr einfache Vorstellungen von aktiver Dominanz: Aktiv ist diese Dominanz, weil männliche Norm festlegt, dass ein Mann Subjekt und damit Ausgangspunkt seines Handelns ist; damit ist auch schon die grundlegende Bedeutung von Dominanz genannt, nämlich die Selbstbestimmung, die fremdbestimmtes Handeln und damit die Unterordnung unter eine andere Person ausschliesst39. Diese männliche Dominanz findet bei Tacitus ihren modellhaften Ausdruck in der Figur des – aristokratischen – pater familias, d.h. im kulturell geprägten Bild des ‹Familienvaters›, der allerdings wenig gemein hat mit unserem modernen Verständnis des ‹Vaters›. Der pater ist erstens der älteste lebende Agnat einer römischen domus40, die er auch gegen aussen verkörpert. Und zu dieser domus gehört die Traditionslinie von den Vorfahren bis zu den Nachkommen; ein idealtypischer römischer Mann hat die Erwartung zu erfüllen, die durch die Vorfahren erworbene Ehrenstellung zu erhalten oder zu erhöhen und an die Nachkommen weiterzugeben. Zweitens übt der pater seine männliche Dominanz mittels der Rechtsgewalt aus, die er über die Personen und den materiellen Besitz der domus besitzt; genauso nimmt er eine hierarchisch übergeordnete Stellung ein als dominus über die Sklavinnen und Sklaven, als patronus über die Klienten und die Freigelassenen. Drittens gibt es für die patria potestas, die Rechtsgewalt des römischen pater, keine zeitliche Begrenzung: erst beim Tod des pater werden seine Söhne ihrerseits zu patres und erreichen damit den Rechtsstatus sui iuris, «eigenen Rechts». Schliesslich ist viertens die Stellung des pater eine durch das Recht bestimmte gesellschaftliche Position, die ein römischer Mann auch dann einnimmt, wenn er nicht verheiratet ist und keine Kinder hat.

Diese Merkmale der Position des pater familias werden im taciteischen Text nicht expliziert, sondern als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt; was wir hingegen in der Analyse des Textes erfassen können, ist die Umsetzung der im Bild des pater familias festgemachten männliche Dominanz in drei Beziehungsformen: Sie findet Ausdruck in der Kontrolle, der Fürsorge und der Instrumentalisierung, mit denen die patres den von ihnen Abhängigen begegnen. Der Bereich der Kontrolle umfasst einerseits die Sicherung und Erhaltung der eigenen politisch-gesellschaftlichen Stellung – und das bedeutet auch: die Kontinuität der eigenen domus und der sozialen Anerkennung, die sie aufgrund der Tradition, der Taten der Vorfahren, geniesst – und andererseits die Wahrnehmung der Verfügungsgewalt über die hierarchisch Untergeordneten. Männliches Handeln unter diesem Aspekt ist folglich die Sorge um die Nachkommen, die in der Adoption von Söhnen oder in der Geburt von legitimen Kindern ihren Ausdruck findet41. Patres vermitteln das gesellschaftliche Prestige ihrer domus an die ihnen untergeordneten Personen – insbesondere die Nachkommen, aber auch an Klienten – und bauen dieses Prestige aus durch die Absicherung von Freundschaften mit geschickten eigenen Heiraten oder der Verheiratung von Töchtern und Söhnen42. Ebenso tragen sie die Verantwortung für das Handeln der in ihrer Rechtsgewalt Stehenden, weshalb in Gerichtsfällen meist Väter in Anklagen gegen ihre Söhne hineingezogen werden und umgekehrt ein Urteil gegen einen Vater auch gegen dessen Sohn gerichtet ist43: Die Abhängigen werden gleichsam als Bestandteil der männlichen übergeordneten Position betrachtet, als in Einheit zugehörig zu jener Person, von der die Abhängigkeit ausgeht. Die einleitend genannten Hinweise in der Abschiedsrede des Otho auf seinen Erfolg in der Erhöhung des Prestige seiner Familie bieten genauso wie seine Worte an den Neffen44 eine perfekte Illustration für diesen normativen Anspruch an Männlichkeit, die sich aus der Dekonstruktion des Textes der Annalen ergibt.

Wenn nun ein pater Prestige an seine Nachkommen vermittelt oder für seine Klienten nutzt, ist das zugleich eine Form der Unterstützung, die auf die Fürsorge als normative Erwartung an männliches Handeln verweist. Das mit dem Familiennamen vermittelte soziale Ansehen gehört zur ideellen und materiellen Förderung und Unterstützung der gesellschaftlich-politischen Karriere männlicher Nachkommen. Aber auch für die der väterlichen Rechtsgewalt unterstellten Frauen erhöht das Prestige ihres pater die Chancen guter Heiratsmöglichkeiten und bedeutet damit eine Unterstützung sowohl für die weibliche soziale Stellung als Tochter oder Gattin eines angesehenen Mannes wie auch für die damit verbundenen Handlungsspielräume45.

Der dritte Bereich männlichen Handelns ist die Instrumentalisierung der Untergebenen. Dabei muss dieser Begriff ganz neutral und nicht mit der – aus moderner Sicht – negativ konnotierten Bedeutung einer ‹Ausnutzung› verstanden werden: die systematische Lektüre der Annalen zeigt als selbstverständliche männliche Norm, dass ein pater familias seine Gattin aufgrund gesellschaftlich-politischer Erwägungen wählt, um zum einen Freundschaftsbeziehungen zu anderen domus zu bestätigen und zum andern mit der Zeugung legitimer Kinder die Kontinuität seiner eigenen domus zu sichern; die Ehefrau ist folglich ein Instrument männlichen Handelns, das auch mit den häufigen Scheidungen und Wiederverheiratungen ausgewechselt werden kann46. Die gleiche Funktion haben die Verheiratungen von Töchtern und Söhnen: sie schaffen Verbindungen von Schwiegervätern untereinander, von Schwiegersöhnen zu Schwiegervätern und umgekehrt47. Patres beziehen ihre Söhne auch in ihr eigenes Handeln ein, indem sie ihnen militärische oder politische Aufgaben übertragen48; damit werden sie zwar als ‹Werkzeuge› benutzt – wie etwa ein Drusus oder ein Germanicus, die Tiberius an seiner Stelle zu meuternden Truppen schickt49 –, erhalten zugleich aber die Chance, ihre politisch-militärischen Fähigkeiten zu entwickeln und zu demonstrieren.

Die Kehrseite dieser männlichen Dominanz über andere ist die Dominanz über die eigene Person – Selbstbeherrschung findet sich in den taciteischen Texten als Voraussetzung für Herrschaft über andere dargestellt. Die hier einleitend vorgelegte Gegenüberstellung von Otho und Vitellius aus den Historien illustriert diese normative Erwartung. In den Annalen ist sie weitgehend auf negative Weise präsent: Insbesondere im kritischen Bild der principes, das Tacitus zeichnet, ist die Unfähigkeit zur Beherrschung der eigenen Triebe ein prägendes Element. Ein Tiberius ist in seiner Palastanlage auf Capri, wohin er sich im Jahre 27 n.Chr. zurückgezogen hatte, in luxus et malum otium resolutus, «dem Luxus und schlechtem Müssiggang zugetan»50, Claudius lässt sich selbst in der bedrohlichen Situation, als seine Gattin Messalina mit dem designierten Konsul C. Silius eine Ehe eingegangen war, nicht von einem Mahl und von Weingenuss abhalten, der ihn «erhitzt» und seiner Gattin gegenüber milde stimmt51, und Nero zeichnet sich durch die Gier nach Reichtum aus52 wie auch ganz allgemein durch Luxus-Exzesse, die Tacitus mit der – wie er schreibt: exemplarischen – Schilderung eines neronischen Gelages illustriert53. Das sind deutliche Transgressionen eines Männlichkeitsmusters, dessen Fundament die Dominanz auch in der Form der Fähigkeit zur Kontrolle der eigenen Begierden und Lüste ist. Dabei zeigt sich bei Tacitus klar, dass diese Begierden sich genauso auf Reichtum, Luxus, Macht wie auch auf sexuelle Beziehungen ausrichten – ‹Sexualität› ist nicht ein eigenständiger Bereich, der sich qualitativ von anderen Genüssen unterscheiden würde54. Genauso wie die Nutzung von Vergnügungen kulinarischer Art erweisen sich sexuelle Praktiken eingeordnet in ein hierarchisches Konzept der Beherrschung: Männlich ist, eine übergeordnete Position der Dominanz zu bewahren55; in einer Sexualbeziehung bedeutet dies, eine im römischen Sinn ‹aktive› Position einzunehmen, das heisst sich Lust verschaffen zu lassen, im Unterschied zu einer ‹passiven› Position, die einem anderen Lust verschafft56. Deshalb finden sich auch in den Annalen die seit republikanischer Zeit – die Invektiven bei Cicero bieten dafür eine Fülle von Beispielen57 – übliche negative Charakterisierung von männlichen Figuren mit der Anschuldigung, sich muliebriter, auf weibliche, d.h. passive Art sexuell nutzen zu lassen58. Im Geschlechtsdiskurs der Annalen ist dies jedoch nur eine besondere Form der Verletzung einer männlichen Norm, die in der Erwartung der Dominanz und der entsprechenden Beherrschung eigener Emotionen und Begierden besteht.

Das Männlichkeitsmuster, das die Gestaltung der taciteischen Figuren bestimmt, lässt in den hier skizzierten drei Elementen – als gesellschaftliche Position des aristokratischen pater familias, als Handlungsbereiche von Kontrolle, Fürsorge und Instrumentalisierung, als Fähigkeit der Selbstkontrolle – in der textanalytischen Arbeit konstruieren. Dennoch findet sich in den Historien und Annalen kaum eine Figur, die diese Männlichkeit in positivem Sinn umfassend repräsentiert. Müsste jedoch nicht im Agricola, der Biographie, die Tacitus seinem Schwiegervater widmet, ein idealtypisches Bild eines Mannes zu finden sein?

2.2 Idealbild Agricola?

Die Forschung ist sich nicht einig, ob der Agricola des Tacitus der Textsorte der Biographie oder der Geschichtsschreibung, der laudatio funebris oder des enkomion zugeschrieben werden soll – und ob diese Gattungsfrage überhaupt von grosser Bedeutung ist59. Weitgehender Konsens besteht jedoch darin, dass die Figur des Agricola in exemplarischer Absicht herausgestellt wird60. Aus dem Text geht das Bild eines tätigen, aktiven Mannes hervor – und dieser Effekt der Erzählung lässt sich durch eine lexikologische Analyse nachweisen: Wenn wir uns ein Untersuchungsobjekt wie Männlichkeit vornehmen, das im Text nicht Thema, jedoch notwendig darin eingeschrieben ist, so können wir uns nicht mit einer Lektüre begnügen, die nur die auf der Oberfläche des Erzählstrangs vorgelegten Bedeutungen erfasst. Wir brauchen für eine analytische Lektüre – im Wortsinn: eine Lektüre, die den Text in die unterschiedlichen Ebenen seiner Bedeutungsproduktion auflöst61 – ein formales Kriterium; werden für eine Untersuchung des Agricola-Textes etwa ausschliesslich die Verben erfasst, deren Subjekt oder Objekt der Protagonist der Erzählung ist62, führt dies zum Ergebnis, dass die Figur Agricola für mehr als zwei Drittel der rund 300 Verben als logisches Subjekt genannt ist. Die Figur erscheint damit deutlich als Ausgangspunkt seines Handelns; wird das semantische Spektrum der Verben in die Analyse einbezogen, so erweist sich dieses Handeln wesentlich als eine Ausübung von Macht. Tacitus führt einen Agricola vor, der diese Macht zu gleichen Teilen gegenüber äusseren Objekten und gegenüber sich selbst ausübt: zum einen also gegenüber unterworfenen Völkern63, Soldaten und Armee, politischen Gegnern und Freunden oder Familienmitgliedern, und zum anderen gegenüber der eigenen Person, die sich auf diese Weise auszeichnet durch Pflichterfüllung, Selbstbeschränkung, die Ausdauer bei der Verfolgung von Handlungszielen und die Beherrschung von Emotionen64.

Stellt Tacitus in diesem stilisierten Bild gewissermassen ein artifizielles Männlichkeitsmuster heraus, in dem die im vorangehenden Abschnitt genannten normativen Erwartungen vereinigt sind, so erhält dennoch die Agricola-Figur in manchen Textpassagen differenzierende Facetten, in denen die glatte Oberfläche idealer Männlichkeit angekratzt wird. Für die Anfänge seiner politischen Karriere etwa hält der Text – im klaren Gegensatz zur generellen Tendenz der Gesamtdarstellung, die Tatkraft des Protagonisten herauszustellen – fest, Agricola habe «den Zeitraum zwischen Quästur und Volkstribunat und auch das Tribunatsjahr selbst in Ruhe und Untätigkeit vorübergehen» lassen, «weil er die Zeitumstände unter Nero einzuschätzen wusste, in denen Untätigkeit weise war»65. Wenig später wird seine Tätigkeit als Kommandant der XX. Legion in Britannien unter dem Legaten Vettius Bolanus (69-71) charakterisiert durch die Umschreibung: «Agricola zügelte seinen Tatendrang (vis) und dämpfte seinen Eifer (ardor), damit er nicht weiter anwuchs, er hatte Gehorsam gelernt und wusste, das Nützliche mit dem sittlich Guten zu verbinden»66. Als deutlicher Widerspruch zu einer männlichen Norm, die eine Unterwerfung unter die Gewalt eines anderen ausschliesst, findet sich Agricolas Gehorsam auch gegenüber dem Feldherrn Q. Petil(l)ius Cerialis als virtus, «männliche Tugend» hingestellt67. Betont wird insbesondere in den abschliessenden Kapiteln der biographischen Schrift die kluge Selbstbescheidung, Emanation einer perfekten ‹Macht über sich selbst›, die nun aber gerade nicht als Voraussetzung für eine ‹Macht über andere› erscheint: Bei seiner Rückkehr aus Britannien nach Rom zieht Agricola eine nächtliche Ankunft vor, um jegliches Aufsehen zu vermeiden68, und er verzichtet in der Folge gänzlich auf die Verwendung seines militärischen Ruhmes, der unter den otiosi, unter den weder mit militärischen noch andern offiziellen Dingen Beschäftigten, nur belastend wäre, und wendet sich der Stille und Musse zu69.

In diesen Passagen zeigt sich ein Agricola, der von idealtypischen Männlichkeitsnormen Abstand zu nehmen weiss – er verharrt in Untätigkeit statt männliche Aktivität zu beweisen, er beweist obsequium, was genauso als «Nachgiebigkeit» wie als «Gehorsam» verstanden werden kann, statt die männliche Position der Dominanz wahrzunehmen. Diese Anpassungsfähigkeit des Protagonisten führt dann zur wohl am häufigsten zitierten und kommentierten Sentenz aus Agricola, worin Tacitus sich von jenen abgrenzt, die sich durch einen «für die res publica nutzlosen und ehrsüchtigen Tod» Ruhm erwerben70. Wenn nun aber eine exemplarische Figur nicht konsequent mit den Attributen der Männlichkeit versehen und gar ein flexibler Verzicht darauf als nachahmenswert dargelegt wird, mahnt uns diese Beobachtung zur Vorsicht: Ganz offensichtlich besteht zwischen der Kategorie der Männlichkeit und der Ausgestaltung männlicher Figuren im taciteischen Text kein schlichtes Verhältnis von Norm und deren Umsetzung in beschriebene Praxis. Vielmehr adaptiert sich die Männlichkeitsnorm an politische und gesellschaftliche Verhältnisse; Männlichkeit erweist sich damit als eine Kategorie, die nicht isoliert ist, sondern notwendig mit anderen Kategorien der Lebensgestaltung eines Aristokraten in wechselseitiger Beziehung steht. Darin lässt sich ein erster Aspekt einer Performanz von Männlichkeit erkennen, deren Bedeutung noch klarer fassbar wird, wenn wir sie auf ihre Unterschiede zu den Weiblichkeitskonzepten, wie sie sich aus den Annalen erarbeiten lassen, prüfen.

2.3 Weiblichkeitsmuster

Weiblichkeit definiert sich in den Annalen des Tacitus zunächst nicht als präskriptive Norm, sondern als deskriptive Festlegung: Jeder Frauenfigur wird Weiblichkeit als inhärentes Merkmal zugeschrieben. Während Männlichkeit erworben werden muss durch aktive Wahrnehmung einer dominierenden Position, ist Weiblichkeit ‹angeboren› – in Umkehrung der berühmten Formulierung von Simone de Beauvoir71 liesse sich für die antike römische Geschlechtsvorstellung formulieren: In Rom wird man nicht als Mann geboren, man entwickelt sich zum Mann. Für die Vorstellung von Weiblichkeit gilt das Gegenteil: Die Annalen beschreiben weibliche Figuren als Geschlecht, charakterisiert durch Verhaltensweisen, die der Text aus der Tatsache, dass sie Frauen sind, begründet; vielfach werden in den Annalen die Frauen als Kollektiv mit dem Wort sexus bezeichnet72, und die Qualifikativa, die diesem lateinischen Wort für Geschlecht beigefügt sind, können imbecillus, invalidus, imbellis («schwächlich», «kränklich», «unkriegerisch-feige») sein. Somit ist die Festschreibung einer weiblichen Essenz keineswegs neutral: diese Weiblichkeit ist negativ konnotiert, was auch in der Tatsache Ausdruck findet, dass muliebris73 durchwegs mit abwertender Bedeutung verwendet wird74. Denn es ist vor allem ein grundlegender Mangel, der in den Annalen dieses «weibliche Geschlecht» kennzeichnet: die muliebris inpotentia, «weibliche Masslosigkeit»75, die Unfähigkeit also, eigene Triebe zu beherrschen.

Explizit bringt dies Tac. ann. 3.33-34 zum Ausdruck, worin über eine Senatssitzung im Jahre 21 berichtet wird, in der der Antrag des A. Severus Caecina debattiert wurde, den Magistraten sei die Mitnahme ihrer Gattin in die Provinzen zu untersagen; Caecina begründet laut Tacitus seinen Antrag mit der Feststellung, die Frauen seien non imbecillum tantum et imparem laboribus sexum, sed, si licentia adsit, saevum, ambitiosum, potestatis avidum («nicht nur ein schwaches und Anstrengungen nicht gewachsenes Geschlecht, sondern, wenn man sie gewähren lasse, ein brutales, ehrgeiziges und machtsüchtiges»76). Die Aussage muss zwar in ihren polemischen Zusammenhang gestellt werden – doch die Gegenrede, die M. Valerius Messalla Messalinus in den Mund gelegt wird, argumentiert mit den genau gleichen Aussagen zu Weiblichkeit: Bei Annahme des Antrags würde «das von Natur aus schwache Geschlecht [sexus natura invalidus] allein gelassen, ausgesetzt der eigenen Verschwendungssucht und den Begierden anderer. Kaum sei es ja möglich die Ehen durch ständige Überwachung unversehrt zu erhalten, was würde daraus erst werden, wenn sie für mehrere Jahre wie bei einer Scheidung vergessen würden?»77. Und dem Antragsteller Caecina wird entgegengehalten, er solle doch nicht die feige Nachlässigkeit der Männer vertuschen, denn viri in eo culpam, si femina modum excedat, «der Mann trägt die Schuld, wenn die Frau das rechte Mass überschreitet»78.

Bemerkenswert an dieser ‹Senatsdebatte›scheint mir, dass die beiden Standpunkte von Caecina und Messalla trotz ihres Gegensatzes mit exakt derselben Vorstellung von Weiblichkeit argumentativ begründet werden79 – und von besonderem Interesse ist zudem, dass Tacitus darin Stereotypen übernimmt, hinter denen rhetorische Topoi zu vermuten sind, die sich auch schon bei Livius finden80: Die weibliche Unfähigkeit zur (rationalen) Selbstbeschränkung findet ihren Ausdruck im Hang zu Luxus und Verschwendung, der weiblichen Figuren zugeschrieben wird, in sexueller Unersättlichkeit und in ständigem Geltungsdrang in Konkurrenz zu anderen (aemulatio). Weiblichkeit ist in den Annalen also «aufgrund ihrer Natur»81 eine Bedrohung der Ordnung, und sie bestärkt umgekehrt in den konzeptuellen Bestimmungen des Geschlechtsdiskurses die Bedeutung sowohl männlicher Selbstbeherrschung als Garant der Ordnung wie auch der Kontrolle über die der männlichen Rechtsgewalt unterstellten Frauen82. Was sich in den Annalen über diese grundlegenden Festlegungen hinaus an normativen Erwartungen gegenüber weiblichem Verhalten erkennen lässt, ist ebenso eine Antwort auf die Männlichkeitsnormen: Ordnungsentsprechendes weibliches Handeln ist Unterordnung und Einordnung. Die Inhalte dieses Handelns von Frauen sind in den Annalen unter zwei Aspekten beschrieben: der Erfüllung der instrumentellen Funktion, die Frauen übertragen sind, und der Einordnung in den Verband einer domus mit entsprechend ‹solidarischem› Verhalten zu den Gliedern dieses Verbandes.

Der erste Aspekt ist angesprochen in den Textpassagen, worin die Treue von Ehefrauen (mit all den damit verbundenen Eigenschaften der «Erholung bietenden» Gattin, der Vertrauensperson, der «Begleiterin in allen Lebenslagen»83) und ihre «Fruchtbarkeit» erwähnt sind; die Norm der treuen und kindergebärenden Gattin lässt sich e contrario ebenso aus den wesentlich häufigeren Hinweisen auf ehebrecherische Aktivitäten erschliessen84. Verbunden damit ist die Funktion von weiblichen Figuren, Sozialprestige zu übertragen: Ehefrauen geben die gesellschaftliche Geltung ihres Vaters an den Gatten weiter, Mütter vermitteln das Ansehen ihrer Gatten oder Väter den Söhnen wie auch Töchtern. Der zweite Aspekt des Handlungsspektrums weiblicher Figuren umfasst Unterstützung, Zuneigung oder auch Respekt gegenüber männlichen oder weiblichen Objekten des Handelns; dabei wird im Text dieses Handeln dann als ordnungsentsprechend gewertet, wenn zwischen den Beteiligten eine verwandtschaftliche oder eine durch Allianzen unter Männern begründete Bindung besteht. Die Darstellung weiblichen Norm-Verhaltens kann deshalb gesehen werden in der Unterstützung der Mütter für ihre Söhne oder Töchter, der Gattinnen für ihren Mann, der Grossmütter oder Schwiegermütter gegenüber ihren Enkelinnen oder Schwiegertöchtern, in der – massvollen85 – Zuneigung von Schwestern zu ihren Brüdern oder im Respekt von Töchtern der Mutter und dem Vater gegenüber. Die positive Wertung dieses ‹solidarischen Verhaltens› von weiblichen Personen findet aber ihre Grenze nicht nur bei einer Ausweitung des sozialen Rahmens über Verwandtschafts- oder Freundschaftskreise hinaus, sondern auch bei Überschreitung eines bestimmten Handlungsrahmens: klare Beispiele transgredierender Unterstützung sind die als Machenschaften gewerteten Bemühungen von Kaisergattinnen wie Livia und Agrippina minor, ihren Söhnen die Nachfolge zu sichern, oder auch die Beteiligung der Gattin an den Aufgaben des Feldherrn86.

Damit wird normentsprechende Weiblichkeit in den Annalen dreifach als Einordnung gekennzeichnet: der Handlungsspielraum weiblicher Figuren ist durch den gesellschaftlichen Rahmen der domus bestimmt87, durch die Beschränkung des Handelns auf Bereiche, die nicht institutioneller Politik oder Armee-Angelegenheiten zugehören, und dieses Handeln ist ‹re-aktiv›: Wenn männliche Normen ein ‹Handeln-aus-sich-heraus› verlangen, kennzeichnet sich Weiblichkeit durch ‹Handeln-in Bezug auf›; ordnungsentsprechendes männliches Handeln ist der Anstoss, der Anfang einer Handlungskette, und weibliches Handeln ist die Antwort auf diesen Anstoss, wird als ein Glied einer Handlungskette verstanden.

Aus den taciteischen Texten geht die hier vorgelegte Vorstellung einer dichotomischen Geschlechtsdifferenz hervor: die Normen weiblicher Unterordnung und ‹Re-Aktivität› werden jenen der männlichen Dominanz und des aktiven Handelns gegenübergestellt. Allerdings beruht diese Dichotomie nicht auf Reziprozität: Männlichkeit ist nicht gegeben, sondern muss erworben werden insbesondere durch die Selbstbeherrschung als Voraussetzung der Herrschaft über andere, während Weiblichkeit als ‹naturgegeben› gilt und Unfähigkeit zur Selbstbeherrschung bedeutet. Daraus folgt, dass das Gegenteil männlicher Norm nicht Weiblichkeit bedeutet und umgekehrt; zu unterscheiden ist in der binären Geschlechtsdifferenz, die das Maskuline dem Femininen gegenüberstellt, eine ternäre Struktur: innerhalb der Maskulinität steht den Normen der Männlichkeit die Transgression dieser Normen gegenüber, die nicht als Weiblichkeit, sondern als Unmännlichkeit gedeutet wird; andererseits kann es keine ‹Unweiblichkeit› geben, weil Feminität als Existenzweise gilt – Transgressionen des Weiblichen weisen auf Übernahme männlicher Werte hin. Was die Analyse des taciteischen Textes auf diese Weise hervorbringt, ist eine dreigliedrige Opposition von Geschlechtsvorstellungen – Männlichkeit, Unmännlichkeit, Weiblichkeit –, die gleichwohl in die hierarchische Gegenüberstellung von Maskulinität und Feminität eingeordnet sind und damit ein Vokabular der Macht zur Verfügung stellt.

3. Intersektionale Performanz von Geschlechtsidentitäten

Auch wenn dieser Geschlechtsdiskurs den Hintergrund der taciteischen Darstellung von Geschichte bildet und dem Autor zur Wertung von männlichen und weiblichen Figuren dient, zeigt gleichwohl jede einzelne Figur, die Tacitus in seiner Geschichtsdarstellung in Szene setzt, dass sie nicht einfach als Verkörperung dieser Normen ausgestaltet sind. Oder, anders formuliert: die männlichen und weiblichen Akteure der Geschichtserzählung setzen geschlechtsspezifische Normen partiell und in Auswahl um, mischen Aspekte von Männlichkeit und Weiblichkeit mit anderen Aspekten gesellschaftlicher Existenz und sind Beispiele für eine Ausgestaltung von Identität, die in heutiger Terminologie als intersektionale Performanz bezeichnet werden kann. Die Performanz zeigt sich auf der Ebene der Geschichtserzählung in der Beschreibung des Handelns der Akteurinnen und Akteure, worin ihre Realisierung von geschlechtsspezifischen Mustern in ganz unterschiedlicher Ausprägung zum Ausdruck kommt. Und die Intersektionalität88 dieser Zuschreibung von Geschlecht ergibt sich daraus, dass der Autor Tacitus die Figuren seiner Erzählung in Szene setzt, indem er ihre geschlechtsspezifischen Handlungsformen mit ihrem gesellschaftlichen und Rechtsstatus verbindet und sie zudem mit den argumentativen und narrativen Funktionen versieht, für die er sie in seiner Geschichtsdarstellung verwenden will Die Verwischung der klaren Konturen dichotomischer Geschlechtsidentitäten in der Ausgestaltung der Figuren lässt sich zum einen in der Darstellung von Gruppen männlicher Figuren89 beobachten, deren Handeln durch ihren Status bestimmt ist, zum anderen in der Inszenierung von sowohl männlichen wie weiblichen Einzelfiguren.

3.1 Kollektive, Status und Geschlecht

Soldaten – ihre Darstellung wurde oben (Abschnitt 1) kurz skizziert – treten in den taciteischen Texten fast ausschliesslich als Kollektiv90 in Erscheinung, und von ihnen wird nicht nur in der oben kommentierten Passage aus den Historien, sondern auch im Agricola und in den Annalen gerade nicht aktive Dominanz, die als Grundlage von Männlichkeit gilt, verlangt. Vielmehr ist der amor obsequii, die «Liebe zur Gehorsamkeit»91 die selbstverständlich erwartete Verhaltensweise von Soldaten92, mit anderen Worten: eine Ein- und Unterordnung, die, wie oben festgestellt, ein grundlegendes Merkmal von Weiblichkeit ist. Soldaten aber müssen durch militärische disciplina zu dieser Unterordnung angehalten werden: Als nach der Nachricht vom Tod des Augustus der Heerführer der pannonischen Legionen die «gewohnten Beschäftigungen» unterbrechen lässt und damit die strikte Ordnung des Heerlagers lockert, folgt daraus, dass lascivire miles, «die Soldaten sich gehen lassen», nur noch nach Verschwendung und Nichtstun streben und von Disziplin und Anstrengung nichts mehr wissen wollen: das ist der Ausgangspunkt einer Meuterei93. Soldaten sind folglich unfähig zur Selbstbeherrschung – Beute- und Geldgier etwa ist ein Topos, der kaum je bei der Erwähnung von Soldaten in taciteischen Texten fehlt94 –, allerdings wird diese Masslosigkeit, im Unterschied zur muliebris impotentia, nirgendwo auf eine natura der Soldaten zurückgeführt. Sie hat die Konsequenz, dass atrocitas und ferocitas, unkontrollierter Ausbruch männlicher Brutalität, die römischen Soldaten auszeichnet, was im militärischen Zusammenhang eine durchaus positive Wertung erfahren kann95.

Nicht nur an Soldaten wird evident, dass männliche Normen in engstem Zusammenhang mit gesellschaftlichem Status stehen, der darüber bestimmt, welche geschlechtsspezifischen Elemente – männliche, unmännliche oder weibliche – in das Bild der Figuren der Erzählung integriert werden. Ein weiteres Beispiel sind männliche Figuren in der Position von Söhnen: In den Annalen schreibt Tacitus Söhnen kaum eigenständiges Handeln in Bezug auf ihre Väter zu – mit den signifikanten Ausnahmen der Söhne des Tiberius, Drusus und Germanicus96, und des Sohnes von M. Calpurnius Piso, deren positiv gewertete und zugleich gegen die Väter gerichtete Taten sich auf väterliche Figuren beziehen, die ausserhalb der gesellschaftlich-politischen guten Ordnung situiert sind. Entscheidend ist aber, dass sich letztlich sowohl die Söhne des Tiberius97 wie auch jener des Piso der väterlichen Gewalt unterordnen: Auch wenn Pisos Sohn Marcus seinem Vater einen Ratschlag erteilte, den dieser ablehnte, beteiligte er sich gegen seine Überzeugung an dessen Kriegsvorbereitungen98. Im Prozess gegen Piso plädiert Tiberius für den Freispruch des Sohnes, weil er sich nur aufgrund der Befehle des Vaters am Bürgerkrieg beteiligt habe: nec potuisse filium detrectare, «und der Sohn konnte sich nicht verweigern»99. Im Widerspruch also zur Vorstellung einer männlichen Norm, die eine Unterordnung unter eine andere Person ausschliesst, gilt für Söhne der respektvolle Gehorsam ihrem Vater gegenüber als unausweichlich.

Söhne und Soldaten können folglich aufgrund ihres gesellschaftlichen und Rechts-Status die Norm der männlichen aktiven Dominanz nicht wahrnehmen; Gleiches gilt auch für andere Positionen und es wäre interessant, die geschlechtsspezifische Ausgestaltung etwa von Freigelassenen, von Sklaven, von Schauspielern oder auch von Angehörigen des Ritterstandes systematisch zu untersuchen.

3.2 Mosaiksteine von Geschlechtsidentität

Nicht nur in sozialen Gruppen lässt sich aufgrund ihrer gesellschaftlich-strukturell bedingten Position eine Infragestellung des Männlichkeitsmusters feststellen, sondern auch in praktisch allen Einzelfiguren ist das Spiel mit männlichen, aber auch weiblichen Normen zu beobachten. Tacitus’ Schwiegervater Agricola liefert das exemplum für einen «grossen Mann unter schlechten Kaisern», und wir konnten – supra, Abschnitt 2.2 – feststellen, dass er auf die Umsetzung seiner aktiven männlichen Dominanz unter den politischen und militärischen Bedingungen zu verzichten wusste, die dies verlangten: Obsequium wird ihm als Tugend zugeschrieben in seiner Funktion als Legionskommandant gegenüber den Statthaltern Britanniens100; obsequium ac modestia, «Gehorsam und auch Bescheidenheit» werden aber in der vielbesprochenen Passage Agricola 42.4 ganz generell als Qualitäten für «grosse Männer» herausgestellt, die sich unter «schlechten Kaisern» bewähren müssen. Bescheidenheit verweist auf die männliche Fähigkeit der Selbstbeherrschung, die Unterordnung auf das Weiblichkeitsmuster, dem hier aber zusätzlich industria ac vigor, «Beharrlichkeit und Tatkraft» gegenübergestellt wird. Doch selbst dieser «beharrlichen Tatkraft» entsagt Agricola unter dem Prinzipat Neros, weil unter seiner Herrschaft «Trägheit als Weisheit» (inertia pro sapientia101) zu betrachten war. Untätigkeit ist keine weibliche, sondern eine unmännliche Norm – in der geschlechtsspezifischen Ausgestaltung der Figuren ist, wie oben102 festgehalten, nicht jede Transgression der Männlichkeitsbilder eine Annäherung an Weiblichkeit.

Die unmännliche Tatenlosigkeit wird verschiedentlich in den taciteischen Texten genannt und erhält ihre argumentative Wertung in der Geschichtserzählung allein durch den Kontext. Wir finden sie etwa in der oben skizzierten Charakterisierung des Vitellius: «schlaff und untätig» bringt er die Zeit hin in seinen Gärten103. Dass daraus eine – im Unterschied zu Agricolas «weiser Trägheit» – unzweideutig negative Wertung der Vitellius-Figur entsteht, bewirkt der Text, indem er das Bild des Vitellius durch eine Kombination dieses Charakterzugs mit weiteren Transgressionen männlicher Normen ausgestaltet: mit der – weiblich konnotierten – Unfähigkeit, die Begierden auf Lustbarkeiten einzuschränken, mit dem unmännlich «stumpfen» und «wankelmütiger Sinn» (socors animus, mobilitas ingenii), der Vitellius daran hindert, Entschlüsse zu fassen (improvidus consilii), und daraus ergibt sich die dem Anspruch an männliche aktive Dominanz entgegengesetzte Abhängigkeit gegenüber den Ratschlägen anderer104. Umgekehrt wiederum führt Tacitus in den Annalen die bewusste Wahl der Untätigkeit an der Figur des Senators Thrasea Paetus als Beispiel einer aufrichtigen Haltung gegen den herrschenden princeps Nero vor: Thrasea verlässt den Senat, als dieser im Jahre 59 Dankbeschlüsse für die Beseitigung der Agrippina minor fasst105, er ist nicht präsent beim regelmässigen Beschluss der Gelübde für das Wohlergehen des Kaisers, obwohl er Mitglied des Priesterkollegiums der quindecimviri sacris faciundis ist, und er nimmt schliesslich, obwohl als ehemaliger Konsul des Jahres 57 zum hierarchisch höchstgestellten Kreis der Konsulare gehörte, während dreier Jahre nicht mehr an den Senatssitzungen teil106. Mit diesem Verzicht auf aktive Tätigkeit verbunden werden allerdings keine weiteren Transgressionen, sondern die Darstellung des Thrasea als Beispiel männlicher Tugend (virtus ipsa107): Er nimmt selbst die Hinweise auf seinen bevorstehenden Tod immoto animo, «mit unerschütterlichem Sinn» auf und zeigt schliesslich dem jungen Mann, der das Todesurteil des Senats überbringt, die geöffneten Pulsadern, aus denen das Blut strömt, mit der Ermahnung, er solle hinsehen, denn er sei in Zeiten hineingeboren, in denen es wichtig sei, sich an Beispielen von Standhaftigkeit zu stärken108.

Nicht nur männliche Figuren werden exemplarisch in einer vielfältigen Komposition von männlichen, unmännlichen und weiblichen Komponenten in Szene gesetzt, ebenso zeigt sich diese narrative Geschlechtsperformanz bei weiblichen Figuren – die bekannteste und vielfach besprochene ist Agrippina maior, die bei Tacitus als femina ingens animi bezeichnet wird, als «überaus starke Frau durch ihren Mut»109. Sie wird als Gattin des Germanicus mit dem Hinweis auf ihre Abstammung und ihre Fruchtbarkeit in die Geschichserzählung eingeführt: «Inzwischen erfuhr Germanicus, der in Gallien, wie erwähnt, die Vermögenseinschätzungen entgegennahm, dass Augustus gestorben war. Er hatte dessen Enkelin Agrippina zur Frau und von ihr mehrere Kinder»110. Nach Hinweisen auf die Beliebtheit des Germanicus beim römischen Volk – hier für einmal nicht als plebs oder vulgus, sondern als populus Romanus bezeichnet111 – und auf die darin begründeten «versteckten Hassgefühle» des Tiberius und der Livia gegen ihn112, nennt Tacitus die «durch stiefmütterlicher Gefühle aufgestachelte weibische Missgunst» der Livia gegen Agrippina113, fügt gleich aber auch an, Agrippina selbst wäre allzu leidenschaftlich gewesen, wenn sie nicht durch Keuschheit und Gattenliebe ihren ungebändigten Charakter zum Guten gewandt hätte114. Zur Ausgestaltung der Agrippina-Figur greift Tacitus somit von Beginn an auf das positive männliche Element der Abstammung, auf das weibliche Element der fruchtbaren Gebärerin in ihrer Funktion als Gattin zurück, zugleich aber auch auf die mit den Weiblichkeitsvorstellungen notwendig verbundenen Wesenszüge der Leidenschaftlichkeit und des ungezähmten Charakters; diesen jedoch stellt er die Fähigkeit der Agrippina gegenüber, mit den weiblich konnotierten Erwartungen an castitas und mariti amor zu einer Beherrschung dieses Charakters zu gelangen, die nun wieder an männliche Erwartungen erinnert. Agrippina wird damit als Ausnahme dargestellt, weil sie selbst zu dieser Beherrschung gelangt und nicht durch ihren Gatten erst dazu gebracht wird, die «Grenzen nicht zu überschreiten»115.

Die unterschiedlichen Facetten der Figur der Agrippina maior prägen insgesamt ihre Darstellung in den Annalen. Im Nekrolog zu ihrem Tod im Jahre 33 wird diese Spannung zusammenfassend vorgelegt: einerseits stellt Tacitus fest, Agrippina habe virilibus curis feminarum vitia exuerat («sich mit männlichen Bestrebungen der Laster der Frauen entledigt»), und andererseits verweist er auf ihre Unfähigkeit, «eine bescheidene Stellung zu ertragen», und auf ihre «Gier, zu herrschen» (aequi impatiens, dominandi avida116). Agrippina maior ist in den Annalen eine Frau von pudicitia inpenetrabilis, von «undurchdringbarer Keuschheit»117; gleichzeitig wird sie mit atrocitas und ferocia, «Grausamkeit» und «Wildheit»118 assoziiert: nach dem Tod ihres Mannes Germanicus ist sie violenta luctu et nescia tolerandi, «hemmungslos in der Trauer und unfähig, sie zu ertragen»119, wird als superba fecunditate, «überheblich durch ihre Fruchtbarkeit»120 beschrieben, und ihr Schwiegervater Tiberius wirft ihr adrogantia oris und einen contumax animus vor, «überhebliche Rede» und ein «störrisches Gemüt»121. In das mit diesen Charakterisierungen umrissene semantische Feld passt durchaus auch die oben erwähnte Bezeichnung femina ingens animi, die damit allerdings auch eine zwiespältige Note erhält: Die Grösse der Frau, die mit ihrem Mut und ihrer Charakterstärke begründet wird, ist Ergebnis einer Fähigkeit, eigenständig zur Beherrschung ihrer Triebe zu gelangen; die muliebris impotentia, die «weibliche Masslosigkeit» ist gleichwohl der Figur der Agrippina in aller Deutlichkeit zugeschrieben. Agrippina maior erscheint deshalb als eine der weiblichen Figuren der Annalen, die mit rational-männlichen Mitteln ein Ziel zu verfolgen vermag, das jedoch von weiblicher Masslosigkeit diktiert ist122. Und in einem solchen Zusammenhang kann selbst pudicitia eine zwiespältige Beurteilung erhalten: wenn sie als berechnend eingesetztes Werkzeug dargestellt ist und nicht nur als Erfüllung einer Verpflichtung gegenüber dem Ehemann, dem Vater oder der domus. Den auf diese Weise mit männlich und weiblich konnotierten Elementen des Geschlechtsdiskurses ausgestalteten weiblichen Figuren – neben Agrippina maior auch ihre Tochter Agrippina minor oder Poppaea Sabina – wird ein Widerspruch zwischen selbstbeherrschtem Handeln und dem Muster der durch ihre Natur determinierten Frau zugeschrieben, der sich im Text dadurch auflöst, dass Rationalität nur für das ‹taktische› Vorgehen, nicht aber für die ‹strategischen› Motive und Ziele des weiblichen Handelns anerkannt wird.

Auf wiederum unterschiedliche Weise werden weibliche und männliche Elemente in der Konstruktion einer weiblichen Figur aktualisiert, die Victoria Pagán als «one of the most fascinating characters of the Annales» bezeichnet123 und die tatsächlich eine Ausnahme darstellt, weil mit Epicharis eine Freigelassene und Frau als vorbildliche Figur kontrastierend zum unehrenhaften Verhalten von «Freigeborenen, Männern, römischen Rittern und Senatoren» (ingenui et viri et equites Romani senatoresque)124 hingestellt wird. In der Erzählung der Vorbereitungen zur so genannten ‹Pisonischen Verschwörung› gegen Nero im Jahre 65 wird «eine gewisse Epicharis» eingeführt, «die sich zuvor nie um irgendwelche ehrbaren Dinge gekümmert hatte»125 – als ehemalige Sklavin gehörte sie nicht zu den freigeborenen römischen Frauen, die sich durch keusche Sittsamkeit, pudicitia, hätte auszeichnen können. Und dennoch wird diese Figur hervorgehoben als auf männliche Weise aktiv Handelnde, die den Verschwörern ihr Zaudern und Schwanken zwischen Hoffnung und Furcht zum Vorwurf macht und ihre Liebschaft mit dem Kommandanten der Flotte von Misenum, dem nauarchus Volusius Proculus126, dazu benutzt, um ihn und damit die Flotte für die Verschwörung zu gewinnen. Allerdings nannte Epicharis keine Namen der Verschwörer, sodass Proculus, der ihr Gespräch Nero hinterbrachte, von ihr «mangels Zeugen leicht zum Schweigen gebracht werden konnte»127. Dennoch wurde sie in Gewahrsam gehalten.

Wenig später wurden zwei der Verschwörer, die Senatoren Flavius Scaevinus und Antonius Natalis, aufgrund des Verrats eines Freigelassenen des Scaevinus verhaftet. Dem Freigelassenen Milichus attestiert der Text einen servilis animus, eine «sklavenhafte Gesinnung», die ihn nur an die Belohnung für den Verrat an seinem Patron denken liess; zudem be-sprach er sich mit seiner Frau, die ihm ein consilium muliebre ac deterius erteilte, «den Rat einer Frau und deshalb umso schlechter»128. Die zwei verhafteten Verschwörer halten den Anblick der Folterinstrumente und die entsprechenden Drohungen nicht aus: zuerst verrät Natalis sowohl Piso wie auch Seneca, und als Scaevinus vom Geständnis des Natalis erfährt, bringt ihn seine imbecillitas, «Schwäche», dazu, alle andern an der Verschwörung Beteiligten zu verraten129.

Diese Aussagen bilden den Hintergrund für die Ausgestaltung der exemplarischen Haltung der Epicharis: Die imbecillitas des Senators Scaevinus erinnert an die generelle Beschreibung von Frauen als imbecillus et imparem laboribus sexus130; andererseits zeichnet sich Milichus, ein Freigelassener wie Epicharis, durch einen unmännlichen (aber auf seinen Status als ehemaligen Sklave verweisenden) servilis animus aus, und drittens findet sich in Bezug auf die Frau des Milichus die Allgemeingültigkeit beanspruchende topische Aussage über Frauen consilium muliebre ac deterius: wenn Frauen einen Ratschlag erteilen, so kann er nur schlecht sein. Dass zwischen dieser Feststellung und der Figur der Epicharis ein eklatanter Widerspruch besteht, scheint den antiken Autor (und sein Publikum) nicht zu stören – Geschlechts-Stereotypen können offenbar problemlos neben die Ausgestaltung von Figuren gestellt werden, die diese Stereotypien dementieren. Denn Epicharis, an die sich Nero nach den Geständnissen der zwei Senatoren erinnert und die er «durch Folterung zu zerreissen» (tormentis dilacerari) befiehlt in der Annahme, ein weiblicher Körper könne Schmerzen nicht aushalten, widersteht den Schlägen, den glühenden Eisenplatten und der umso grösseren Wut der Folterknechte, als diese nicht vor einer Frau klein beigeben wollten131: sie streitet alle Anschuldigungen ab. Als sie am zweiten Tag auf einem Tragsessel zur Folter gebracht wird, weil sie mit ihren ausgerenkten Gelenken nicht mehr stehen kann, bindet sie ihr Brusttuch zu einer Schlinge an die Stuhllehne und erhängt sich mit dem Einsatz ihres ganzen Körpergewichts, clariore exemplo libertina mulier in tanta necessitate alienos ac prope ignotos protegendo, «ein um so leuchtenderes Beispiel, als sie, eine Freigelassene, eine Frau, in solcher Bedrängnis Fremde, ja nahezu Unbekannte schützte», während die Freigeborenen nur schon aus Angst vor der Folter die nächsten Angehörigen preisgaben132.

In der Figur der Epicharis legt Tacitus ein Beispiel nicht nur für ein – in seiner Sicht – vorbildhaftes Verhalten «unter schlechten principes» vor, sondern in geschlechtsspezifischer Perspektive ebenso ein Beispiel für die vielfältige Konstruktion von Geschlechsidentität: Die Freigelassene kann aufgrund ihres gesellschaftlichen Status die Weiblichkeitsnorm der pudicitia nicht erfüllen, der umgekehrt eine Agrippina maior exemplarisch entspricht und die sie aber mit rationalem Kalkül benutzt. Beide weibliche Figuren verletzen die normative Erwartung an Weiblichkeit, indem sie auf männliche Art eigenständig handeln; sie kehren damit die Regeln der Machtpraktiken um, was Agrippina die Bezeichnung der femina ingens einbringt, und Epicharis triumphiert zunächst über ihren Ankläger Proculus, den sie «zum Schweigen bringt», und danach über ihre Folterknechte, deren männliche Gewalt an ihrem Widerstand scheitert und denen sie sich durch ihren exemplarischen Suizid entzieht. Die hier diskutierten weiblichen Figuren unterscheiden sich von den zwei herausgegriffenen männlichen, die ihrerseits die männliche Norm selbständigen Handelns verletzen, indem ein Agricola unter der Herrschaft Neros «auf weise Art» die Untätigkeit wählt und ein Thrasea Paetus sich in provozierender Weise aus politischer Tätigkeit zurückzieht. Bei aller unterschiedlichen Wertung der zwei Figuren veranschaulicht Tacitus in ihrem unmännlichen Verhalten der Inaktivität übereinstimmend die Machtsituation: sie können beide ihre Männlichkeit als Dominanz nicht wahrnehmen. Männliche Standfestigkeit vor dem Tod hingegen verbindet einen Thrasea Paetus mit einer Epicharis, und wir können uns auch an die eingangs kommentierte Szene des Suizids von Otho erinnern.

Was ich hier nur an wenigen Beispielen zu zeigen suchte, liesse sich in der Ausgestaltung aller Akteurinnen und Akteuren, die in den taciteischen Texten in Szene gesetzt sind, untersuchen: Das Bild der handelnden Figuren ist Ergebnis eines Spiels mit Geschlechtsnormen. Was sich darin zeigt, ist zunächst der narrative Handlungsspielraum eines Autors, der mit seiner Erzählung die historische Wirklichkeit schafft, die uns heute zugänglich ist. Damit aber kann sich die historische Analyse nicht begnügen – sie muss sich der Frage der aussertextuellen Realität stellen. Damit wird das Verhältnis zwischen der narrativen Geschlechtsperformanz in den Texten und dem Handlungsspielraum, der agency der historischen Personen in der performativen Gestaltung ihrer Geschlechtsidentität zum Problem.

4. Narrative und aussertextuelle Performanz von Geschlecht

Die hier herausgegriffenen Beispiele männlicher und weiblicher Figuren machen deutlich, dass die geschlechtsspezifische Figurengestaltung in den taciteischen Texten keine simple Umsetzung normativer Weiblichkeit und Männlichkeit ist. Diese normativen Festlegungen existieren sehr wohl und lassen sich in der Textanalyse herausarbeiten, indem die Elemente aus ihrem Erzählkontext herausgelöst und in Aussageserien eingeordnet werden; das Ergebnis sind die Thesen zu den Regeln des Geschlechtsdiskurses, die dem Text eingeschrieben sind, wie ich sie oben in Abschnitt 2 darlegte. Es gibt keine Gründe, an der aussertextuellen Existenz dieses Diskurses zu zweifeln: Ein Tacitus will nicht über Männlichkeit und Weiblichkeit schreiben und deshalb verwendet er seine erzählerische Arbeit nicht darauf, Geschlechtsdefinitionen zu ‹erfinden›; vielmehr greift er auf seine Vorstellungen und diejenigen seines (im Schreibakt: virtuellen) Publikums, d.h. auf die gesellschaftlichen Vorstellungen, zurück. Um spezifische Einzelfiguren mit ihrer für die Geschichtserzählung notwendigen eigenen Identität auszugestalten, bedient sich folglich der Geschichtsschreiber Tacitus der «culturally available symbols» und «normative concepts»133, aus denen die Gesellschaft seiner Zeit Geschlecht konstruiert. Und diese Identität der Figuren ist eine zugleich geschlechtsspezifische, gesellschaftlich und rechtlich bestimmte: Sie setzt sich zusammen aus unterschiedlichen Elementen von Weiblichkeit und Männlichkeit, die sich mit andern Elementen wie Freiheits- und Rechtsstatus, verwandtschaftlicher und gesellschaftlicher Position und politisch-historischer Situation überkreuzen und verknüpfen. Damit erweist sich aber die historiographische Erzählung selbst als eine gesellschaftlichen Instanz (nebst vielen anderen), die durch den Geschlechtsdiskurs geprägt ist und diesen zugleich ausformt in der (narrativen) Performanz von Geschlechtsidentitäten. In dieser geschlechts-spezifischen Ausgestaltung der Figuren aber werden Machtverhältnisse zum Ausdruck gebracht, weil Macht in der römischen Gesellschaft im Kräfteverhältnis von dominierender Männlichkeit und sich unterordnender Weiblichkeit gedacht wird.

Ich habe auf den voranstehenden Seiten den Versuch unternommen, an den Beispielen des Otho, des Vitellius und ihrer Soldaten, an der gesellschaftlichen Position von Söhnen, an den Figuren des Agricola, des Thrasea Paetus, der Agrippina maior und der Epicharis zu zeigen, wie unterschiedliche Geschlechtsidentitäten in den taciteischen Texten konstruiert werden. Immer dient diese Konstruktion auch der Erklärung einer Position von Einzelnen oder Gruppen in einer gesellschaftlichen Hierarchie der Macht: das (weibliche) obsequium von Soldaten bestimmt ihre Stellung gegenüber dem (männlich) dominierenden Feldherrn; die (männliche) Fähigkeit der Epicharis, sich angesichts der Folterung zu beherrschen gibt ihr eine Position der Stärke gegenüber den erfolglosen Folterknechten (die ihren Zorn auf unmännliche Weise nicht zu zügeln vermögen); mit (männlicher) Standfestigkeit nimmt Agrippina eine Position ein, die es dem Geschichtsschreiber erlaubt, sie als Gefahr für die dominierende Position des Feldherrn hinzustellen. Ist das nun schlicht das Spiel mit Geschlechtsnormen, das der schreibende Autor pflegt? Mit Sicherheit kann nicht direkt vom Text auf historische Wirklichkeit geschlossen werden – dagegen sprechen allein schon die Widersprüche in der Geschichtserzählung selbst. Dennoch möchte ich postulieren, dass eine solche narrative und intersektionale Performanz von Geschlecht nicht vorstellbar ist ohne eine aussertextuelle Wirklichkeit: Römische Männer und Frauen verfügen über einen Handlungsspielraum, der ihnen die Möglichkeit der Entscheidung, Elemente von Weiblichkeit und Männlichkeit in unterschiedlicher Weise zu aktualisieren, gibt. Dieser Handlungsspielraum ist keineswegs unbegrenzt: die Performanz von Geschlecht überkreuzt sich mit der gesellschaftlichen Existenz als Sklavin, als Soldat, als aristokratische matrona, als Senator oder als princeps, und in dieser komplexen Verflechtung bilden sich die Grenzen der Räume der Handlungsoptionen heraus. Das Ausloten dieser Grenzen und damit die Annäherung an die die Spielräume geschlechtsspezifischen Handelns im realen Leben der Menschen der römischen Gesellschaft sind zentrale Herausforderungen künftiger Forschungen über Geschlecht in den Texten und Bildern der Antike134.

Bibliography

Texte, Übersetzungen, Kommentare

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Notes

1 Scott 1988 [1986]. Return to text

2 Vgl. Scott 1999; Scott 2001a; Scott 2001b. Return to text

3 Bock 1983, 34; vgl. auch Bock 1988, 372ff. Return to text

4 Ausführlicher dazu: Schmitt Pantel/Späth 2007. Scott 2008 verweist darauf, dass sie bei der Erstpublikation ihres – sehr breit rezipierten (vgl. Opitz 2001) – Aufsatzes in der American Historical Review den Titel mit einem Fragezeichen versehen hatte und nur auf Veranlassung der Redaktion, die als Titel nicht eine Frage zulassen wollte, die affirmative Form der «useful category» akzeptierte... In einer kürzlich erschienen Stellungnahme zur Debatte und auch zu ihrer eigenen Kritik am gender-Begriff hält sie fest: «[...] it is gender that produces meanings for sex and sexual difference, not sex that determines the meanings of gender. If that is the case, then (as some feminists have long insisted) there is not only no distinction between sex and gender, but gender is the key to sex. And if that is the case, then gender is a useful category of analysis because it requires us to historicize the ways sex and sexual difference have been conceived» (Scott 2010: 13). Return to text

5 Scott 1988: 25. Return to text

6 So betitelte Austin seine grundlegende Studie: How to do things with words, 1962. Return to text

7 Butler 1999 [1990]: 173 (Auszeichnungen im Original). Andrea Maihofer (1995: 40-53) kommentiert kritisch das performative Körperkonzept von Butler, das sie zum Begriff des «Geschlechts als Existenzweise» (85-108) weiterentwickelt; vgl. auch Lorey 1996: 109-119 für eine Diskussion von Butlers Verständnis von ‹performativen Akten›. Return to text

8 Diese Feststellung brachte mich in meiner Untersuchung der Geschlechtskonstruktion in den Annalen des Tacitus (Späth 1994) dazu, eine Vielfalt normativer Männlichkeiten und Weiblichkeiten zu postulieren. Dieses Postulat war noch stark einem deskriptiven Umgang mit der Kategorie Geschlecht verhaftet und liess grundlegende Fragen unbeantwortet; die hier zur Diskussion gestellten Überlegungen sind ein Versuch, mit neueren Werkzeugen der feministischen Theorie präziser die Bedeutung von Geschlecht für die gesellschaftlichen Praktiken historiographischen Schreibens und sozialen Handelns zu erfassen. Return to text

9 Wenn ich den Begriff des ‹Einschreibens› verwende, spiele ich damit nicht auf psychoanalytisch fassbare Phänomene an, sondern schlicht auf die Tatsache, dass das, was ein Autor schreiben kann – das «Schreibbare» («scriptible») von Roland Barthes (1970: 10) – von seiner gesellschaftlich-historischen Situation bestimmt ist; ausführlicher dazu: Späth 2006: 62-66. Return to text

10 Die colonia Brixellum (heute: Brescello) liegt südlich des Po, rund 40 Kilometer vom Ort entfernt, an dem die Schlacht stattfand; vgl. den Kommentar von Hellegouarc’h zur unterschiedlichen Situierung des vicus Bedricacum, in: Tacitus 2002-2003: Bd. 2, 171, Anm. 6. Return to text

11 Tac. hist. 2.46.1: opperiebatur Otho nuntium pugnae nequaquam trepidus et consilii certus. Maesta prima fama, dein profugi e proelio perditas res patefaciunt. Return to text

12 Tac. hist. 2.47.1. Return to text

13 Tac. hist. 2.47.2: alii diutius imperium tenuerint, nemo tam fortiter reliquerit. Return to text

14 Tac. hist. 2.47.3. Return to text

15 Tac. hist. 2.48.1: pecunias distribuit parce nec ut periturus. Return to text

16 Tac. hist. 2.48.2: satis sibi nominis, satis posteris suis nobilitatis quaesitum; zugleich lobt er die pietas des Neffen, seine «respektvolle Zuneigung», und er tadelt seine Furchtsamkeit (formido). Return to text

17 Tac. hist. 2.49.1-3. Return to text

18 Tac. hist. 1.13.3. Zu Othos «ausgelassener Jugend» vgl. Tac. ann. 13.45.4-46.1; schon wenig später, in ann. 14.46.3, findet sich der Kommentar, Otho habe sich als Statthalter, entgegen seinem früheren Ruf, «anständig und gewissenhaft» (integre sancteque) verhalten, nachdem Nero ihn in die Provinz Lusitania versetzt hatte, um in Bezug auf seine Gattin Poppaea Sabina freie Hand zu haben. Return to text

19 Bei Plin. epist. 8.12.4 wird eine solche Sammlung von «Sterbeszenen berühmter Männer» einem Titinius Capito zugeschrieben; vgl. die Beiträge von Ronconi 1940 und 1966, die Dissertation von Schunck 1955, zuletzt Brescia 2001; speziell zu den exitus-Szenen bei Tacitus und den intertextuellen Bezügen vgl. Marx 1937-38, Bellardi 1974, Guttilla 1972-73; gegen intertextuelle Prägungen der taciteischen Schriften argumentiert hingegen Fabbri 1978-79. Eine differenzierte Sicht auf die Beschreibung von Todesszenen bei Tacitus, ohne Bezug zu literarischen Mustern, legt jetzt Keitel 2009 vor, vgl. insbesondere 138-141. Return to text

20 Vgl. Ash 2009: 88-89 zur erstaunlichen Struktur der Historien, deren vierzehn Bücher – von denen nur die ersten vier und der Anfang des fünften erhalten sind – sich wenig ausgeglichen auf die Geschichte der Jahre 69 bis 96 verteilen: Die ersten vier Bücher umfassen nur knapp zwei Jahre. Return to text

21 Tac. hist. 3.36.1: curis luxum obtendebat: non parare arma, non adloquio exercitioque militem firmare, non in ore volgi agere, sed umbraculis hortorum abditus, Vitellius «zieht die Schwelgereien der Sorge [um die res publica] vor: er betreibt nicht die Rüstung, bestärkt nicht die Soldaten durch Rede und Übungen, handelt nicht im Angesicht des Volkes, sondern hält sich im Schatten seiner Gärten auf». Vgl. auch 3.36.2: atque illum in nemore Aricino desidem et marcentem proditio Lucilii Bassi ac defectio classis Ravennatis perculit, «den schlaff und untätig im Wald von Aricia vor sich hin Lebenden schreckte der Verrat des Lucilius Bassus und der Abfall der Flotte von Ravenna auf». Die Vorliebe des Vitellius für das Geheime, Versteckte, kommt auch in anderen Stellen zum Ausdruck: er verbietet, über die Niederlage bei Cremona zu reden, was in Tac. hist. 3.54.1 als stulta dissimulatio, «dummes Vertuschen», bezeichnet wird; in das gleiche semantische Feld des heimlichen Handelns gehört die Wahl von Gift als Waffe für den Mord an Iunius Blaesus (3.39.1). Return to text

22 Zum sparsamen Umgang mit Geldgeschenken supra Anm. 15, zur Verschwendungssucht des Vitellius vgl. neben der in Anm. 21 zitierten Passage auch Tac. hist. 3.55.2: ipse nihil e solito luxu remittens («er verzichtete auf nichts aus seinen verschwenderischen Lebensgewohnheiten»). Wenn Keitel 2007 Tacitus’ Vitellius-Bild auf die Tyrannentopik hin untersucht, so wird damit sicher ein Aspekt – wie eben der luxus – richtig situiert; unter Auslassung des Geschlechtsaspekts greift aber der Ansatz zu kurz, um die taciteische Darstellung insgesamt zu erfassen, die sehr stark auf Mustern und Normen der Männlichkeit beruht. Return to text

23 Vgl. supra Anm. 16 zu Otho und Tac. hist. 3.36.1 zu Vitellius: praeterita instantia futura pari oblivione dimiserat («er schlug Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in gleicher Weise aus seinem Sinn»). Return to text

24 Zu Othos fortitudo supra Anm. 13, zu Vitellius Tac. hist. 3.56.2: bei jedem neuen Schlag, den er hört, ist im Unterschied dazu Vitellius pavens, «erschreckt» (recentissimum quodque volnus pavens); wie auch 3.37.1, wo er vor einem Mord «zwischen Verbrechen und Angst zitternd» beschrieben wird: trepidanti inter scelus metumque. Zum Erzählmotiv der Angst des Vitellius vgl. Levene 1992. Return to text

25 In der eigentlichen Auflistung von negativen Eigenschaften, die der Text in 3.56.2 vorlegt, wird nach der Inkompetenz in der Heerführung (ignarus militiae) gleich angefügt, er sei improvidus consilii, «unfähig zu Entscheidungen» und deshalb befrage er für jeden strategischen Schritt andere (alios rogitans); einige Zeilen zuvor findet sich seine Ankunft im Heerlager – wohin er sich nur flagitante exercitu, «auf Drängen des Heeres» hin begibt – beschrieben: incertus animi et infidis consiliis obnoxius, «mit unsicherem Sinn und von treulosen Ratschlägen abhängig» (3.55.3). Vgl. auch 3.36.2: plus apud socordem animum laetitia quam cura valuit, («dem stumpfen Gemüt war Freude mehr wert als die Sorge»). Return to text

26 Tac. hist. 3.56.2: ad omnes nuntios voltu quoque et incessu trepidus, dein temulentus («bei jedem Botenbericht zitternd in Gesicht und Gang, daraufhin betrunken»). Return to text

27 Tac. hist. 3.85: et volgus eadem pravitate insectabatur interfectum, qua foverat viventem. Vgl. auch 3.84.5: deformitas exitus misericordiam abstulerat, «die Würdelosigkeit des Todes hatte kein Mitleid aufkommen lassen». Return to text

28 Otho ist consilii certus (hist. 2.46.1) und Vitellius incertus animi (3.56.2); Otho nimmt nequaquam trepidus Botenberichte entgegen (2.46.1), während Vitellius darauf voltu quoque et incessu trepidus reagiert (3.55.3); die vollständigen Zitate und Übersetzungen finden sich supra Anm. 11, 26 und 25. Die dichotomische Gegenüberstellung ist umso erstaunlicher, als Tacitus, wie oben (Anm. 18) erwähnt, in den Annalen das Bild eines luxusversessenen Otho zu zeichnen wusste, das den entsprechenden Beschreibungen des Vitellius kaum nachstand: ein schönes Beispiel für die rhetorisch-narrative inhaltliche Bestimmung des historiographischen Textes. Return to text

29 Ich verzichte hier auf eine Erörterung der pejorativen Topoi der Darstellung der Armee als volgus (so e.g. in hist. 2.26.2, 2.29.3, 2.44.1), als «Pöbel», der durch Habgier, Leichtgläubigkeit, Furcht, Unbeherrschtheit, Beutelust und andere Laster gekennzeichnet ist – die Begriffe avaritia, credulitas, metus, immodicus, praedandi cupido, licentia, diversae cupidines etc. wiederholen sich in der Beschreibung der Soldaten; sie sind im taciteischen Text «als Unterschichten in Waffen [...] virtualiter die schlimmsten Feinde der Ordnung» (Flaig 1992: 26) und finden sich, wie Breebaart in seiner Untersuchung von «Plebs and soldiers» schreibt, als irrationale Masse gekennzeichnet: «The stereotypes are old and trivial» (Breebaart 1987 [1974]: 57); vgl. auch die entsprechenden Bemerkungen in Ash 1999. Return to text

30 Vgl. etwa die Prätorianer, die «ehrenvoll im Kampf sterben wollen» (honestius in acie perituros; hist. 2.44.3) und so auch von Otho angesprochen werden (2.47.3); einige begehen gar neben dem Scheiterhaufen Othos Suizid «in Nachahmung seiner Würde und aus Liebe zum princeps» (aemulatione decoris et caritate principis, 2.49.4); auch die letzten Prätorianer des Vitellius sorgen sich trotz aussichtslosem Endkampf um einen ehrenvollen Tod (3.84.3). Return to text

31 Er lobt hunc [...] animum, hanc virtutem vestram (2.47.1) in seiner Rede an die Truppe: «diesen euren Mut und diese virtus». Return to text

32 2.19.2; vgl. auch 2.37.1 die Auswirkung der Niederlage einer vitellianischen Truppe, deren Soldaten nun reverentius et aequalius duci parebant: «ehrerbietiger und ohne Unterschied dem Führer gehorchten». Return to text

33 Vgl. etwa hist. 2.21.4. Return to text

34 In hist. 2.32.1 als besondere Auszeichnung der germanischen Truppen genannt; vgl. Kaplan 1979: 411 und Anm. 5 mit weiterer Literatur zu den Adjektiven atrox und ferox. Return to text

35 hist. 2.44.3. Return to text

36 hist. 2.46.1. Return to text

37 Ich verwende den Begriff des Diskurses, wie ihn Michel Foucault (insbesondere in Foucault 1969) entwickelt hat: die Regeln, die beschreiben und bestimmen, was in einer gegebenen historischen Situation erkennbar ist, aus welchen Subjektpositionen und mit welchen Konzepten (sprachlich und nicht-sprachlich) gehandelt wird und wie unterschiedliche Diskursformationen untereinander in Beziehung stehen. Vgl. die eingehendere Diskussion des Diskursbegriffs für historische Problemstellungen in Späth 1994: 283-292, Späth 2006: 66-71. Return to text

38 Vgl. die Untersuchung des Handelns männlicher und weiblicher Subjekte in den Annalen in Späth 1994, worin in vier Gruppen die Handlungen von männlichen Subjekten in Bezug auf männliche Objekte zum einen, auf weibliche Objekte zum andern, sowie die Handlungsbeziehungen von weiblichen Subjekten zu weiblichen und männlichen Objekten unterschieden wurden; auf diese Weise konnte die Darstellung der Handlungsbeziehungen zwischen weiblichen, zwischen männlichen Figuren und zwischen weiblichen und männlichen Figuren erfasst werden. Die folgenden Überlegungen stützen sich zwar auf diese Textanalyse, sie revidieren jedoch manche der vor bald zwanzig Jahren formulierten Folgerungen und unternehmen den Versuch, differenziertere Erklärungen vorzuschlagen. Return to text

39 Diese Vorstellung von Männlichkeit verweist auf republikanische politische Praktiken, in denen männliche Identität politische Identität ist und umgekehrt: im Senat sitzen je in ihrer domus absolute Macht ausübende Männer, die auf einer Ebene aristokratischer Egalität die Ausübung von Macht und das Machtpotential innerhalb der senatorischen Aristokratie aushandeln. Die neue Ordnung des Prinzipats, in der sich die domus Augusta über die anderen Häuser erhoben hat, ist deshalb ein Grundwiderspruch zu den Männlichkeitsvorstellungen der Dominanz: Das ‹Leiden› der Senatoren am Prinzipat ist ein Leiden an der Monopolisierung der Männlichkeit durch den princeps; ausführlicher dazu Späth 1994: 339-346 und Späth 1998. Wenn Rutledge (2009b: 25-26) den zentralen Begriff der libertas zu Recht über die politische Bedeutung hinaus auf seine sozialen Dimensionen hin erweitert (mit Bezug auf Roller 2001) und definiert als die Eigenschaft, die den dominus, «Herrn», im Vergleich zum servus, «Sklaven», auszeichnet, ist damit direkt diese männliche Dominanz angesprochen; es erstaunt, dass in seinen Überlegungen die Kategorie der Männlichkeit, die eng mit dem von ihm diskutierten Bedeutungsspektrum der libertas verknüpft ist, nicht angesprochen wird. Return to text

40 Ich ziehe diesen Begriff dem der ‹Familie› vor, die eine falsche Nähe des Verständnisses von modernem und antikem Familienbegriff suggeriert; vgl. Saller 1994, dessen Folgerungen bezüglich der «nuclear family» als «the dominant family type» jedoch zurückzuweisen ist, weil es angesichts der juristischen Ausgeschlossenheit der mater familias keine ‹Kernfamilie› im modernen Sinn in der römischen Gesellschaft gibt; Sallers domus-Begriff muss eher im Sinne von «housefuls» (wie Wallace-Hadrill 1991: 214ff., im Unterschied zu «households», vorschlägt) ausgedeutet werden. Vgl. den grundlegenden Aufsatz von Thomas 1986. Return to text

41 Die Geburt ist in diesem Geschlechtsdiskurs tatsächlich ein Handeln des Vaters, weil die eigentliche, die soziale Geburt in der römischen Kultur der formelle (Sprech-)Akt des Befehls, das Kind sei zu ernähren, und später die Verleihung des Namens ist; vgl. zur sozialen Geburt die ausführliche Untersuchung von Köves-Zulauf 1990: 1-92, Corbier 2001: 53-58. Return to text

42 Insofern hat die von Judith Hallett (1984) postulierte «filiafocality» in aristokratischen Familien durchaus ein Berechtigung, auch wenn die Behauptung nicht allen Überprüfungen stand zu halten vermag (vgl. die kritische Rezension von Suzan Dixon in AJPh 107, 1986, 125-130) und sich die Verheiratung von Söhnen nicht grundsätzlich von jener der Töchter unterscheidet. Return to text

43 Vgl. Tac. ann. 4.13.3 (C. Sempronius Graccus folgt seinem Vater in die Verbannung), 4.44.3 (L. Antonius wird nach dem Todesurteil gegen seinen Vater verbannt). 6.9.3 (Prozess gegen C. Annius Pollio), 5.9.1-2 (Sohn und Tochter des Seian werden wie ihr Vater getötet), 16.29.2 (Paconius Agrippinus wird aufgrund des «traurigen Schicksals seines Vater» verurteilt); speziell erwähnt wird die Begnadigung von Söhnen, so etwa 3.15-17 (Prozess gegen Cn. Calpurnius Piso), 13.49.5 (Verbannung von P. Suillius Rufus). Auf die Position und die Handlungsmöglichkeiten von Söhnen werde ich infra in Abschnitt 3.1 zurückkommen. Return to text

44 Supra S. 6; Katherine Clarke (2002: 90) sieht in der Bezugnahme auf «ancestors and future generations (maiores and posteri)» in der Rede des Calgacus (des Führers der Kaledonier in der Schlacht am mons Graupius gegen die Römer; Agricola 32.4) das Kennzeichen von «true Roman style», womit sie ihre These, Tacitus siedle den Inbegriff von Römertum in den am weitesten von Rom entfernten Gegenden an, begründet. Vgl. jetzt auch Baroin 2010 zur gesellschaftlichen Erwartung in der römischen Kultur, «in die Fussstapfen der Vorfahren zu treten». Return to text

45 Vgl. Späth 1994: 225-227. Return to text

46 Scheidungen werden in den Annalen in unterschiedlichen Zusammenhängen erwähnt, z.B. 2.86.2 (die Scheidung des Fonteius Agrippa hindert seine Tochter daran, Vestalin zu werden); 4.3.5 (Seian trennt sich von Apicata), 11.12.2 (C. Silius löst die Ehe mit Iunia Silana auf Veranlassung der Messalina auf); 12.2.1 (Narcissus empfiehlt die Wiederverheiratung des Claudius mit der früheren Gattin Aelia Paetina). Zur Scheidung in Rom vgl. Treggiari 1991, Corbier 1991; Yan Thomas spricht bezüglich der Scheidungen und Wiederverheiratungen von einer «intense circulation de procréatrices» (Thomas 1986: 220). Return to text

47 Diese Verheiratungspraktiken können nicht im simplen Schema von männlichen ‹Tätern›, die mit Frauen als ‹Opfern› nach Belieben verfahren, gefasst werden: römische Frauen waren daran durchaus selbst aktiv beteiligt, sei es als Mütter, Heiratsvermittlerinnen oder auch als Bräute; in den wenigen Fällen, wo die Quellenlage das weibliche Handeln zu erkennen erlaubt, erweist sich, dass Frauen in Übereinstimmung mit den dominierenden politisch-gesellschaftlichen Bedeutungen der Ehe handelten (ein frappierendes Beispiel dafür ist die dritte Verheiratung von Ciceros Tochter Tullia, vgl. dazu Späth 2010: 157-165). Return to text

48 Vgl. etwa den Einbezug von Söhnen in die militärischen Aufgaben ihrer Väter in Tac. ann. 3.21.4 (L. Apronius und sein Sohn), 3.74.2 (Iunius Blaesus und sein Sohn), 15.28.2 (Caesennius Paetus und sein Sohn); auf nicht-römische Väter wird in den Annalen dieselbe Instrumentalisierung von Söhnen übertragen: 1.57.2 (Segestes), 6.31.1 und 6.33.2 (Artabanos), 12.44-45 (Pharasmanes). Return to text

49 Zu Drusus Tac. ann. 1.24-26, zu Germanicus ann. 1.31-49; vgl. 1.47 zur Begründung des Tiberius, seine Söhne zu den meuternden Truppen zu schicken. Return to text

50 Tac. ann. 4.67.3. Return to text

51 Tac. ann. 11.37.2. Return to text

52 Seine Geldgier verführt ihn zur «Leichtgläubigkeit», facilitas credentis: er glaubt einem «geistesverwirrten» Punier, der von einem im Traum erschienenen Schatz berichtete, und lässt nach dem Schatz graben (Tac. ann. 16.1-3). Return to text

53 Tac. ann. 15.37.1-4. Return to text

54 Die These, von der Michel Foucault in seiner Histoire de la sexualité (Foucault 1976; 1984a; 1984b) ausgeht, dass ‹Sexualität› eine moderne Erfindung sei und in den griechischen und römischen Kulturen der Antike sexuelle Praktiken als ein Element unter anderen im breiten Spektrum von ‹Genüssen› oder ‹Vergnügungen› gelten, findet in den taciteischen Texten eine klare Bestätigung. Vgl. im Speziellen Foucault 1984a: 9-19, oder auch die Einleitung zu Halperin/Winkler/Zeitlin 1990: 3-20. Return to text

55 Vgl. die konzis-zusammenfassende Darstellung in Skinner 2005: Kapitel 7, 192-211. Return to text

56 Diese im Vergleich zum aktuellen Wortgebrauch von ‹passiven› und ‹aktiven› Sexualpraktiken grundlegend andere Bedeutung antiker Vorstellungen hielt Veyne schon 1978 fest: Veyne 1978: 53f.; die begriffliche Opposition von ‹aktiver/passiver› Position in dieser Definition verwendet auch Parker (1997: 47), während Williams (1999: 160-165; weiterführende Literatur in den Anmerkungen) terminologisch präziser der «insertive role in penetrative acts» die «receptive role» gegenüberstellt. Return to text

57 Vgl. Meyer-Zwiffelhoffer 1995: 24-48; Booth 2007; jetzt auch Meister 2010: 39-80. Return to text

58 Einige Beispiele: D. Haterius Agrippa wird bezeichnet als libidinosis vigiliis marcidus, «durch wollüstig durchwachte Nächte erschlafft» (Annalen 6.4.5); der von Messalina mit der Anklage des D. Valerius Asiaticus beauftragte P. Suillius Rufus wirft ihm mollitia corporis, d.h. passive Sexualpraktiken, vor, worauf der Angeklagte ebenso anzüglich antwortet, Suillius solle seine Söhne fragen, virum esse me fatebuntur, «sie werden bekennen, dass ich ein Mann bin» (11.2.1); einer dieser Söhne, Suillius Caesoninus, wird im Zusammenhang mit den Todesurteilen gegen die Männer aus dem Umkreis der Messalina einer Verurteilung für nicht würdig befunden, weil er in diesem «abscheulichen Kreis» zugelassen habe, «wie eine Frau» behandelt zu werden (11.36.4: Caesoninus vitiis protectus est, tamquam in illo foedissimo coetu passus muliebria); C. Caninius Rebilus soll ob libidinis muliebriter infamis, «wegen seiner Triebe nach Frauenart verrufen» gewesen sein (13.20.2); Nero wird in den Annalen in passiver Rolle als Braut bei einer Verheiratung mit Pythagoras, einem seiner Sklaven oder Freigelassenen «aus jener Herde der Verdorbenen» beschrieben (15.37.4: ipse [scil. Nero] […] uni ex illo contaminatorium grege – nomen Pytagorae fuit – in modum sollemnium coniugiorum denupsisset); als Motiv für die Beteiligung des Afranius Quintianus an der Pisonischen Verschwörung gegen Nero führt Tacitus an, er habe sich rächen wollen, weil er von Nero wegen passiver Sexualpraktiken in einem Schmähgedicht verunglimpft worden sei (15.49.4: Quintianus mollitia corporis infamis et a Nerone probroso carmine diffamatus contumeliam ultum ibat); die Popularität des C. Calpurnius Piso, des Anführers der Verschwörung, wird unter anderem damit begründet, «fern» hätten ihm «sittliche Ernsthaftigkeit und sparsamer Umgang mit Lustbarkeiten» gelegen (15.48.3: ...procul gravitas morum aut voluptatum parsimonia). Return to text

59 Wenn Ash (2007: 434) feststellt, dass «writers of the imperial period frequently display innovative and inventive attitudes toward genre, which can result in works playing with elements, that were previously associated with other genres», so bringt sie damit eine klare Tendenz in der neueren Forschung zum Ausdruck, in der der Gattungsfrage nicht mehr der gleiche Stellenwert zugeschrieben wird wie noch vor wenigen Jahrzehnten. Vgl. aber zur Gattungsfrage des Agricola zuletzt Rutledge 2009a: 436 (und den Hinweis in Anm. 20 auf den Kommentar Tacitus 1967: 126); die ältere Literatur ist in der Einleitung von de Saint-Denis zusammengestellt (Tacitus 1942: v-xv), vgl. auch Dihle 1987: 27-32, Vielberg 1987: 27 und Anm. 83-87, Marincola 1999: 320-322. Return to text

60 Vgl. Harrison 2007: 314-317. Return to text

61 Ausführlicher dazu: Späth 2006: 62-66. Return to text

62 Die folgenden Erläuterungen beruhen auf unpublizierten Vorarbeiten zu meiner Dissertation, die ich unter dem Titel Tacite et le mâle. L›image de l›homme dans l›Agricola im September 1988 als «Mémoire de D.E.A.» an der École des Hautes Études en Sciences Sociales, Paris, einreichte. Return to text

63 Entsprechend der Konvention historischen Schreibens ist es im taciteischen Text der Feldherr, der ein Lager errichtet, einen Angriff ausführt, einen Sieg erringt; die Soldaten und die Armee als gesamtes werden nicht genannt; der Feldherr verkörpert die militärische Aktion, was mehr ist als eine Synekdoche und eher das Bild des Handwerkers konnotiert: Wie dieser seine Werkzeuge, so verwendet der Heerführer die Armee und realisiert damit sein ‹Werk›. Return to text

64 Vgl. als Beispiel die Umschreibung der Reaktion Agricolas auf den Tod seines einjährigen Sohnes; Agr. 29.1: quem casum neque ut plerique fortium virorum ambitiose neque per lamenta rursus ac maerorem muliebriter tulit; et in luctu bellum inter remedia erat, «dieses Unglück trug er nicht, wie es die meisten tapferen Männer tun, indem er jede Regung auf eitle Art unterdrückte, andererseits aber auch nicht mit Wehklagen und Trauer auf weibische Art; in seinem Schmerz zählte der Krieg zu den Linderungsmitteln». Return to text

65 Und Tacitus ergänzt in Agr. 6.3, auch «als Prätor übte er sich in Schweigen»: mox inter quaesturam ac tribunatum plebis atque ipsum etiam tribunatus annum quiete et otio transiit, gnarus sub Nerone temporum, quibus inertia pro sapientia fuit. Idem praetor exercuit silentium; ich folge hier der Variante, die Alfons Städele in der Folge von Allan A. Lund im Unterschied zu den meisten Textausgaben (idem praeturae tenor et silentium) vorschlägt, vgl. Tacitus 2001 und den Kommentar zur Stelle. Return to text

66 Tac. Agr. 8.1: temperavit Agricola vim suam ardoremque compescuit, ne incresceret, peritus obsequi eruditusque utilia honestis miscere. Return to text

67 Tac. Agr. 8.3 nec Agricola umquam in suam famam gestis exultavit: ad auctorem ac ducem ut minister fortunam referebat. ita virtute in obsequendo, verecundia in praedicando extra invidiam nec extra gloriam erat («Niemals prahlte Agricola zum eigenen Ruhm mit seinen Taten: Dem Feldherrn als Urheber schrieb er als Untergebener das glückliche Gelingen zu. So blieb er durch die männliche Tugend der Unterordnung und durch die Zurückhaltung im Eigenlob von Neid verschont, nicht aber von Ruhm»). Ähnlich wird auch Agricolas Zurückhaltung thematisiert in Bezug auf seinen Bericht für Domitian über die von ihm errungenen Erfolge in Britannien (Agr. 39.1): hunc rerum cursum, quamquam nulla verborum iactantia epistulis Agricolae auctum, ut erat Domitiano moris, fronte laetus, pectore anxius excepit («Obwohl Agricola diesen Verlauf der Ereignisse in seinem Bericht nicht mit prahlerischen Worten übertreibend darstellt, nahm ihn Domitian, wie es seiner Art entsprach, mit froher Miene, aber innerlich voller Angst entgegen»). Return to text

68 Agr. 40.3: ac ne notabilis celebritate et frequentia occurrentium introitus esset, vitato amicorum officio noctu in urbem, noctu in Palatium, ita ut praeceptum erat, venit («Damit sein Einzug wegen des Ansehens und der grossen Zahl der Leute, die ihm entgegengegangen wären, kein Aufsehen erregen konnte, mied er den Empfang durch seine Freunde und kam nachts in die Stadt, nachts in den Kaiserpalast, wie es ihm vorgeschrieben worden war»). Return to text

69 Agr. 40.4: ceterum uti militare nomen, grave inter otiosos, aliis virtutibus temperaret, tranquillitatem atque otium penitus hausit, cultu modicus [...] («Um im übrigen sein Ansehen als Soldat, das unter den mit keinem Amt Beschäftigten nur belastend war, durch andere Tugenden zu dämpfen, wandte er sich ganz und gar der Stille und Musse zu, einfach in der Lebensweise [...]»). Return to text

70 Agr. 42.3-4: Domitiani vero natura praeceps in iram et quo obscurior, eo inrevocabilior moderatione tamen prudentiaque Agricolae leniebatur, qui non contumacia neque inani iactatione libertatis famam fatumque provocabat. [4] sciant, quibus moris est inlicita mirari, posse etiam sub malis principibus magnos viros esse obsequiumque ac modestiam, si industria ac vigor adsint, eo laudis excedere, quo plerique per abrupta, sed in nullum rei publicae usum ambitiosa morte inclaruerunt. («Doch Domitians dem Jähzorn verfallenes Wesen, das ihn um so unversöhnlicher machte, je verschlossener er sich gab, wurde gleichwohl durch die kluge Selbstbescheidung Agricolas besänftigt, weil er nicht durch Starrsinn und leeres Zurschaustellen seines Freimuts den Ruhm und damit das Schicksal herausforderte. Wissen sollen jene, deren Art es ist, das Unerlaubte zu bewundern, dass es sogar unter schlechten Kaisern bedeutende Männer geben kann und dass Gehorsam und Bescheidenheit, falls sie von Beharrlichkeit und Tatkraft begleitet werden, das an Ruhm übertreffen, wodurch sich viele durch einen schroffen, jedoch für das Gemeinwesen unnützen und ehrsüchtigen Tod ausgezeichnet haben»). Return to text

71 Die Feststellung leitet das erste Kapitel des zweiten Bandes von Le deuxième sexe ein (Beauvoir 1949: Bd. 2, 15): «On ne naît pas femme: on le devient». Return to text

72 Vgl. beispielsweise Tac. ann. 14.45.1, 16.10.4. Oft findet sich das Wort sexus in Kombination mit aetas, «Alter», und umfasst damit «die Frauen und die Alten» als die «Schwachen» (imbecilli) in Zusammenhang von Krieg – wenn etwa römische Soldaten alle Feinde niedermetzeln und «weder Geschlecht noch Alter» sie daran hindert –, von Hinrichtungen oder Seuchen (ann. 1.51.1, 1.56.3, 4.50.2, 6.19.2, 14.33.1, 14.45.1, 16.13.2). Sexus kann aber auch schlicht das männliche oder weibliche Geschlecht bezeichnen, etwa eines Kindes (ann. 1.58.6, 2.38.4, 2.84.1) oder gibt an, dass eine Gruppe zugleich Männer und Frauen umfasst (ann. 14.13.2, 15.54.1). Zur Bezeichnung allein von Männern als Kollektiv findet der Begriff hingegen in den Annalen nie Verwendung. Return to text

73 Das Adjektiv zu mulier, «Frau im heiratsfähigen Alter»; es kann insbesondere als Beschimpfung eines Mannes verwendet werden, dem man mollitia, «Verweichlichung» (mit der Suggestion passiver Sexualpraktiken) vorwirft; vgl. supra Anm. 58. Return to text

74 Es liesse sich hier ein Zusammenhang vermuten zwischen kollektiven Vorstellungen über die physiologische Konstituiertheit der menschlichen Körper – das «Ein-Geschlecht-Modell», das Thomas Laqueur untersuchte (Laqueur 1990: Kapitel 2 und insbesondere die Kommentare zu Galen, 25-28) –, die zwischen weiblichem und männlichem Körper nicht eine Differenz der Organe, sondern im weiblichen Körper eine unvollkommene Ausbildung des ‹menschlichen›, d.h. in seiner Vollkommenheit männlichen, Körpers sah. Dass aber eine ‹durch die Natur› begründete Männlichkeit ausserhalb des Denkbaren lag, zeigt sich darin, dass dieser ‹vollkommen ausgebildete Körper› allein noch nicht Männlichkeit ausmachte. Return to text

75 Vgl. Tac. ann. 1.4.5 (muliebris inpotentia), 3.33.4 (impotentibus mulierum iussis), 4.57.3 (matris inpotentia), 5.1.3 (mater inpotens), 12.57.2 (impotentiam muliebrem); die Verbindung zwischen Weiblichkeit und Machtlosigkeit gegenüber eigenen Leidenschaft findet sich aber auch schon bei anderen Autoren, vgl. zum Beispiel Liv. 34.2.2 (muliebris impotentia) und 34.2.13 (impotenti naturae et indomito animali), Sen. dial. 12 (Helv.) 14.2 (muliebris impotentia), Suet. Nero 28.2 (ferox atque impotens mater). Im Unterschied zur meines Erachtens viel zu engen Erklärung von muliebris impotentia bei Santoro L’hoir 2006, 111-113, sehe ich in der Verwendung des Begriffs gerade nicht eine «female transgression» (111), sondern im Gegenteil eine Bezeichnung der ‹Essenz› von Weiblichkeit, die qua sexus ‹natürlich› gegeben ist. Wenn Santoro L’Hoir festhält, dass «muliebris impotentia [...] defies direct translation», ist dies auf ihr eingeschränktes Verständnis des Begriffs als «manifestation of dominatio» (113) zurückzuführen; muliebris impotentia lässt sich wehr wohl im breiten Bedeutungsspektrum, das die lateinischen Texte aktualisieren, übersetzen: es geht ganz allgemein um weibliche Unfähigkeit der Selbstbeherrschung. Return to text

76 Tac. ann. 3.33.3; die Aussage ist das zentrale Argument einer Kette, die von der Feststellung ausgeht, Frauen würden die friedliche Verwaltungstätigkeit durch ihre Verschwendungssucht (luxus), kriegerisches Handeln durch ihre Ängstlichkeit behindern, darauf folgt die hier zitierte weibliche Wesensbestimmung, und die Argumentation endet in einer Aufzählung der durch Frauen verursachten Störungen der Provinzverwaltung: Unordnung im Heer, weibliche Schuld an den Erpressungen, die zu den Repetundenprozessen führten, Korruption der Provinzialen, grösserer Aufwand an Schutztruppen (vgl. 3.33.2-4). Return to text

77 Tac. ann. 3.34.5; Tacitus führt die Entgegnung des Valerius Messalinus (wie schon die Begründung des Caecina) in indirekter Rede an: [...] sexum natura invalidum deseri et exponi suo luxu, cupidinibus alienis. vix praesenti custodia manere inlaesa coniugia: quid fore si per pluris annos in modum discidii oblitterentur? Return to text

78 Tac. ann. 3.34.4. Zur Senatsdebatte bei Tacitus und zu ihren evidenten Parallelen mit Liv. 34.2.2ff., vgl. Ginsburg 1993: 88-96. Return to text

79 Diese Parallelität hält auch Santoro L’hoir (2006: 122) in ihrer Diskussion der ‹Senatsdebatte› (118-124) fest, geht dann aber (122-123) erstaunlicherweise kaum auf die Worte des Messalinus ein, aus deren Übereinstimmung mit jenen des Caecina gerade auf kulturell festgelegte Weiblichkeitsbilder geschlossen werden kann. Return to text

80 Die taciteische Debatte schliesst in teilweise nahezu wörtlichen Parallelen an das Wortgefecht an, das bei Livius (34.1-8) M. Porcius Cato und L. Valerius über die lex Oppia austragen; das Gesetz findet sich auch explizit in ann. 3.33.4 genannt: nach Martin/Woodman (1996: 298) ein Hinweis für die LeserInnen «to decode an intertextual reference»; vgl. auch ihre weiterführenden Referenzen und Literatur zur Verbindung zwischen den beiden Debatten, im weiteren Späth 1994: 61., Anm. 9, und 78, Anm. 80. Judith Ginsburg (1993: 88-96) legte eine eingehende Untersuchung vor, auf die Francesca Santoro L›hoir (2006: 118-124) zurückgreift; nicht ganz richtig ist ihre Vermutung (S. 120): «only Ginsburg and I seem to have recognized that the vocabulary and imagery suggest that [...] Tacitus has concocted a rhetorical pastiche of Livy’s debate over the repeal of the Lex Oppia». Zu einer ähnlichen Konstante in der rhetorischen Thematisierung der Ehe vgl. Erler/Ungern-Sternberg 1987, die die römischen Topoi mit griechischen Texten verbinden und vermuten, dass solche Stereotypen nicht zuletzt durch den Rhetorikunterricht tradiert wurden. Return to text

81 Dabei müsste der römische Begriff von Natur untersucht werden: schon I. v. Lorentz mahnt zur Vorsicht in seinem RE-Artikel »Naturgefühl« (RE 32, 1935, 1811-1885), den er mit der Bemerkung einleitet: «Gleichlautende Äusserungen über die Natur sind durchaus nicht gleich, sondern können ganz verschiedenen Geisteshaltungen entsprungen sein». Eine Klärung lässt sich in einer Fussnote nicht vornehmen; ich schlage als vorläufige Begriffsbestimmung vor, natura hier parallel zur Verwendung von physis etwa bei Plutarch als ‹Charakteranlage› zu verstehen, die Menschen zwar gegeben und unabänderlich ist, aber gleichwohl nicht als deterministisch gilt, weil antike Autoren voraussetzen, dass diese Anlagen durch das Handeln des Einzelnen entwickelt werden können oder auch nicht. Return to text

82 Vor dem Hintergrund dieser weiblichen Geschlechtsdefinition wird auch das römische Rechtsprinzip erklärbar, wonach Frauen Zeit ihres Lebens unter rechtlicher Vormundschaft standen. Dieses Prinzip bestimmt weitgehend die Rechtspraxis während der republikanischen Zeit – Frauen waren juristisch ihrem Vater, ihrem Ehemann oder dann einem tutor unterstellt –, während sich seit der augusteischen Gesetzgebung des ius liberorum und der Aufhebung der Agnatenvormundschaft durch Claudius grundlegende Lockerungen der tutela durchsetzten; vgl. Gardner 1986: 5-22, Thomas 1991: 150-154. Return to text

83 Vgl. etwa Tac. ann. 12.5.3 die Aufzählung der positiven Eigenschaften einer Ehefrau durch L. Vitellius (den Vater des Kaisers von 69) vor dem Senat, mit dem er die Heirat der Agrippina minor durch Claudius begründet. Return to text

84 Allerdings finden sich in den Annalen kaum Ehebrüche und weibliche sexuelle Promiskuität, die nicht in Zusammenhang mit politischen Folgen oder politischer Motivation genannt wären; als Ausnahmen kann auf die ‹Nymphomanie› der Messalina verwiesen werden, deren politische Konsequenzen in der taciteischen Beschreibung ihr selbst nicht einsichtig waren (ann. 11.12.1-2, 11.30.2, 11.36.1-3), oder auf eine Silia, Gattin eines Senators, die von Nero «zu jeglicher Ausschweifung beigezogen» worden sei, ann. 16.20.1); dagegen steht die bewusst zur Einflussnahme eingesetzte Verführung beispielsweise einer Agrippina minor (ann. 12.7.3, 12.25.1, 14.2.2) oder Poppaea Sabina (ann. 13.45.2-3 – vgl. dazu auch die literarische Parallele zu Sempronia bei Sallust, Catil. 25.2-3 –, im weiteren auch ann. 13.46.2, 14.1.3). Ehebrüche – oder oft nur eine entsprechende Anschuldigung – werden beispielsweise erwähnt in ann. 1.53.3, 2.50.3, 4.3.3, 4.42.3, 4.44.3, 4.52.1, 6.29.4, 6.47.2-48.4, 11.1.1, 12.25.1, 13.41.3, 13.44.1-5, 15.68.3; vgl. Späth 1994: 107-112 und 246-256; zu Messalina: Joshel 1997; zu Poppaea: Holztrattner 1995. Return to text

85 «Unvorsichtige Liebe» (incustoditus amor) zu einem Bruder kann einer Schwester zum Verhängnis werden, auch wenn sie nicht bis zum Inzest gegangen sei (ann. 12.4.1-2). Return to text

86 Etwa für Agrippina maior (ann. 1.69.1) oder Munatia Plancina (2.55.6). Return to text

87 In der supra, Anm. 40, erläuterten breiten Definition von domus. Return to text

88 Die wechselseitigen Beziehungen zwischen Geschlecht und anderen kategorialen Strukturen zur Herstellung gesellschaftlicher Differenz standen in feministischer Theorie und politischer Praxis seit den Anfängen der Neuen Frauenbewegung zur Debatte; die Diskussion nahm ihren Ausgangspunkt insbesondere von den kritischen Perspektiven schwarzer Frauen in der amerikanischen Frauenbewegung und ihrer Verknüpfung von «race, class and gender». Patricia Purtschert und Katrin Meyer weisen aber darauf hin, «dass das Problem der Intersektionalität in feministischen Theorien älter ist als deren Name», der in den Publikationen von Kimberlé W. Crenshaw (1989; 1991) geprägt wurde; vgl. Purtschert/Meyer 2010: 131-135 zur Geschichte des Begriffs. Ich verwende hier den Begriff der Intersektionalität in einem erweiterten, über die Triade von «Rasse, Klasse, Geschlecht» hinausgehenden Sinn, wie ihn Purtschert/Meyer (2010: 137-139) begründen. Return to text

89 Frauen als Kollektiv werden bei Tacitus zwar als Objekt genannt (vgl. supra S. 20 und Anm. 76 zur ‹Senatsdebatte›, ann. 3.33-34; oder etwa auch die coniugum ac liberorum agmina per sexum et aetatem disposta, «Scharen von Frauen und Kindern, nach Geschlecht und Alter geordnet», die Nero bei seinem Einzug in Rom nach der Ermordung seiner Mutter begrüssen, ann. 14.13.2), treten aber nicht kollektiv handelnd auf in dem Sinne, dass ihr Handeln als Gruppe performativ gedeutet werden könnte – wie dies etwa in Liv. 34.1.5-7 und 34.8.1-2 bei der Masse der matronae möglich ist, die gegen die lex Oppia auf die Strasse gehen, oder bei App. civ. 4.32-34 bei den Frauen, die unter Führung von Hortensia auf dem Forum erfolgreich gegen eine Steuer protestieren. Return to text

90 Zwar glaubt Rhiannon Ash feststellen zu können, dass «Tacitus offers subtle portraits of each army» (Ash 1999: 168), doch diese Behauptung feiner Differenzen zwischen den Armeen der vier Usurpatoren beruht im wesentlichen auf einer Verbindung der Darstellung von Armee und Heerführer und trägt der sehr stereotypen Darstellung des Heeres als vulgus (in dieser Hinsicht überzeugend: Flaig 1992: 26, vgl. supra, Anm. 29) zu wenig Rechnung. Return to text

91 Tac. ann. 1.28.5. Return to text

92 Vgl. Tac. ann. 1.19.3: mos obsequii; beide Begriffe werden als Forderung von den Heerführern den meuternden Soldaten der pannonischen Legionen entgegengehalten. Return to text

93 Tac. ann. 1.16.2. Zur Aufrechterhaltung der militärischen Disziplin werden römische Soldaten auch körperlich bestraft: Kennzeichen des Zenturio ist der aus einer Rebe hergestellte Stab (vitis), mit dem er Soldaten schlagen kann (vgl. Tac. ann. 1.23.3); die Soldaten sind damit eine Ausnahme: freien römischen Bürgern ist körperliche Integrität gesetzlich garantiert und sie sind von Körperstrafen ausgenommen (leges Porciae de provocatione von 195 v.Chr.); vgl. Walters 1997: 40. Return to text

94 Vgl. auch beim hier thematisierten Beispiel der Meuterei der Pannonischen Legionen im Jahre 14 den Hinweis in ann. 1.16.1, die Hoffnung auf Belohnung, die aus einem Bürgerkrieg zu erwarten wäre, hätte den Widerstand der Soldaten motiviert – ein narratives Motiv, das in Historien und Annalen mit der Erwähnung von Soldaten aufs engste verbunden scheint. Return to text

95 Vgl., wie supra Anm. 34 erwähnt, Kaplan 1979. Return to text

96 Tac. ann. 3.37.2: Drusus soll durch seine Präsenz und Leutseligkeit in der Stadt die Verschlossenheit des Vaters abgemildert haben; vgl. auch ann. 6.51.3 die positive Einschätzung der Wirkung der Söhne auf den Vater. In Bezug auf das taciteische Germanicus-Bild betonen neuere Publikationen vor allem dessen Ambivalenz, vgl. zuletzt Shuttleworth Kraus 2009: 107-114, worin eine negative Konnotation der Figur meines Erachtens zu stark betont wird; zur schon lange anhaltenden Debatte über die Wertung von Tiberius und Germanicus vgl. Späth 1994: 153-155; Pelling 1993 legt in einer differenzierten Studie die These eines Gegensatzes zwischen nostalgisch verklärter republikanischer Tradition und verhasster aber notwendiger Modernität des Prinzipats vor, verkörpert in der Opposition zwischen Germanicus und Drusus. Return to text

97 Vgl. etwa Tac. ann. 2.26.4-5 zur Abberufung des Germanicus aus Germanien. Return to text

98 Tac. ann. 2.76.2-3 zum Ratschlag des Sohnes Marcus, der Vater solle nach Rom zurückkehren und nicht ohne Befehl die Statthalterschaft der Provinz Syrien an sich reissen; 2.78.2 wird darauf hingewiesen, der Sohn habe sich durchaus tatkräftig (haud ignavus) an den Kriegsaufgaben beteiligt, obwohl er den Krieg abgelehnt hatte. Zum Prozess und zur ganzen Episode, von besonderem Interesse aufgrund des vor rund 20 Jahren gefundenen senatus consultum de Cn. Pisone Patre (Eck/Caballos/Fernandez 1996), vgl. umfassend Damon/Takács 1999; für eine Kürzestzusammenfassung mit eigenwilliger Interpretation vgl. Griffin 2009: 177-180. Return to text

99 Tac. ann. 3.17.1. Return to text

100 Vgl. supra S. 17 und Anm. 66-67. Return to text

101 Supra Anm. 65. Return to text

102 Supra S. 23f. Return to text

103 Tac. hist. 3.36.1-2, supra Anm. 21. Interessant ist der von Tacitus angefügte animalische Vergleich: Vitellius verbringe die Zeit in seinen Gärten «wie faule Tiere, die, wenn sie gefüttert sind, träge daliegen». Return to text

104 Zur Masslosikgeit vgl. Tac. hist. 3.36.1, 3.55.2; zum Wankelmut 3.36.2 (socors animus), 3.55.3 (incertus animus), 3.56.2 (improvidus consilii), 3.84.4 (mobilitas ingenii) – und wenn Vitellius einmal einen Befehl erteilt, tut er das «wie aus dem Schlaf aufgeschreckt» (ut e somno excitus, 3.55.1); zur Abhängigkeit 3.55.3 (infidis consiliis obnoxius), 3.56.2 (alios rogitans); die ausführlicheren Zitate und Übersetzungen finden sich supra in den Anm. 21 bis 26. Interessant ist die Verdoppelung dieser Kombination von Geschlechtsstereotypen in der Parallelfigur des Fabius Valens, des Feldherrn des Vitellius: seine «schlaffer als für einen Krieg erforderlich» einher ziehende Armee ist begleitet von «Konkubinen und Eunuchen», er «verbringt in unnützem Zaudern mit Beratungen die Zeit, die zum Handeln günstig gewesen wäre», und Valens nimmt auch in kritischer Situation nicht von seiner «Schändlichkeit» (infamia) Abstand, sondern befleckt die Häuser seiner Gastgeber «mit unerlaubten Genüssen, Ehebrüchen und Hurerei» (Tac. hist. 3.40.1-41.1). Return to text

105 Tac. ann. 14.12.1. Return to text

106 So zumindest lauten einige der im Text nicht widersprochenen Vorwürfe seines Anklägers Cossutianus Capito, Tac. ann. 16.22.1-2. Return to text

107 Vgl. 16.21.1: Nero habe «die Lust ergriffen die Tugend selbst zu vernichten durch die Ermordung des Thrasea Paetus». Allerdings fehlt auch in den Annalen nicht die kleine Nuance, die im Agricola 42.4 zwar ohne Namensnennung, aber doch explizit formuliert wird als Kritik am Ruhm jener, die sich «durch einen schroffen, aber für die res publica völlig unnützen und ehrsüchtigen Tod auszeichnen»: wenn Thrasea 13.49.3 von seinen Kritikern vorgeworfen wird, die wichtigen Entscheidungen mit Nichtbeachtung zu strafen, Bagatellen hingegen aufzugreifen, und insbesondere wenn 14.12.1 festgestellt wird, mit seiner Abwesenheit bei den Beschlüssen über den Tod Agrippinas habe er, der doch frühere «Schmeicheleien» gegenüber dem princeps durchgehen liess, «sich selbst in Gefahr gebracht, jedoch den Übrigen keinen Zugang zur Freiheit verschafft», so kratzen diese Bemerkungen doch am sonst so strahlend gezeichneten exemplum libertatis. Return to text

108 Tac. ann. 15.23.4. Return to text

109 Tac. ann. 1.69.1: mit der Präsenz Agrippinas in schwieriger Situation während einer Schlacht in Germanien habe sie verhindert, dass von flüchtenden Soldaten eine Brücke über den Rhein abgebrochen worden sei, indem sie Kleider und Verbandsmaterial an die verletzten oder abgerissenen Kämpfer verteilte; in der für Tacitus bezeichnenden Inkohärenz von Faktendarstellung und ihrer Deutung wird dieses Handeln der Agrippina, zusammen mit dem Lob und dem Dank, den sie den Soldaten aussprach (was Tacitus mit Verweis auf die Darstellung der Germanenkriege durch Plinius anführt), gewertet als Übernahme der Dienstpflichten des Feldherrn durch Agrippina (munia ducis per eos dies induit), als ob ein dux nicht vor allem andern strategische Aufgaben und nicht Verpflegungs- und Aufmunterungsfunktion hätte… Aber vgl. zur Stelle auch Santoro L’hoir 2006: 136-139. Return to text

110 Tac. ann. 1.33.1: interea Germanico per Gallias, ut diximus, census accipienti excessisse Augustum adfertur. neptem eius Agrippinam in matrimonio pluresque ex ea liberos habebat. Return to text

111 Tac. ann. 1.33.2. Return to text

112 Die occulta odia sind umso gravierender, als Tiberius nicht nur der patruus (Onkel väterlicherseits) sondern auch der Adoptivvater des Germanicus ist, Livia seine Grossmutter und, in Bezug auf Agrippina, die (Stief‑)Grossmutter nach ihrer Heirat mit Augustus, dessen Tochter Iulia in ihrer Ehe mit M. Agrippa die Agrippina geboren hatte. Zur Problematik von Tacitus’ Verwendung des Begriffs des patruus für Tiberius in seiner Beziehung zu Germanicus, der die Adoption im Jahre 4 n.Chr. missachtet, vgl. Späth 1994: 150, Anm. 88. Return to text

113 Tac. ann. 1.33.3: muliebres offensiones novercalibus Liviae in Agrippinam stimulis. Return to text

114 Tac. ann. 1.33.3: [...] atque ipsa Agrippina paulo commotior, nisi quod castitate et mariti amore quamvis indomitum animum in bonum vertebat; zum «vocabulary of change» bei Tacitus und seiner Verwendung von vertere und der Komposita vgl. Santoro L’hoir 2006: 80f. Return to text

115 Ich spiele auf die oben erwähnte Formulierung des modum excedere an, vgl. supra
S. 21 und Anm. 78.
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116 Tac. ann. 6.25.2. Agrippinas «Machtgier» besteht in den Annalen, wenn wir die beschriebenen Fakten analysieren, in einer einzigen konkreten Aktion, die sich völlig in die geschlechtsnormativen Vorstellungen einordnet: Agrippina fordert von Tiberius, er solle sie verheiraten (Tac. ann. 4.53.1); ansonsten vermag Tacitus kein einziges Argument beizubringen für ein Anstreben von Macht, das über die Förderung der politischen Chancen ihrer Söhne hinausgehen würde. Die in der Forschung viel bemühte «Partei» der Agrippina ist ein historiographisches Konstrukt, das in der Geschichtserzählung anderen Figuren (insbesondere Seian) als Behauptung in den Mund gelegt wird (vgl. Tac. ann. 4.12.3, 4.17.3); es ist unverständlich, wie auf dieser Grundlage noch immer eine «Oppositionsgruppe» um Agrippina als historische Tatsachen postuliert werden kann (wie etwa bei Meise 1969: 71-73, dessen unhaltbare Behauptungen unbesehen von Schürenberg 1975: 20 und Anm. 3, übernommen werden; absurd sind die Phantasien von Bauman 1992: 143, der meint, ein «first specific political movement headed by a woman» rund um Agrippina ausmachen zu können). Return to text

117 Tac. ann. 4.12.2. Return to text

118 Tac. ann. 2.72.1: dem sterbenden Germanicus legt der Historiograph die Ermahnung an seine Frau in den Mund, sie solle ihre «Wildheit ablegen» und, zurück in Rom, nicht «durch das Eifern nach Macht die Stärkern reizen» (exueret ferociam, [...] neu regressa in urbem aemulatione potentiae validiores inritaret). In Tac. ann. 4.52.2 findet sich die Formulierung, die dem Aufsatz von Kaplan 1979 den Titel gibt: Agrippina semper atrox, tum et periculo propinquae accensa, die «immer grimmige Agrippina, damals durch die Gefahr für ihre Verwandten hitzig erregt», eilt in Reaktion auf eine Anklage zu Tiberius und überschüttet ihn mit Vorwürfen, er verfolge die wahren Nachkommen des Augustus. Return to text

119 Tac. ann. 3.1.1. Return to text

120 Tac. ann. 4.12.3. Return to text

121 Tac. ann. 5.3.2. Return to text

122 In einer Kurzformel präsentiert die Geschichtserzählung diese topische Konstruktion weiblicher Figuren in Bezug auf Agrippina minor, die Mutter Neros: Agrippina, quae filio dare imperium, tolerare imperitantem nequibat, «Agrippina, die dem Sohn die Herrschaft geben, nicht aber ihn als Herrschenden ertragen konnte» (Tac. ann. 12.64.3). Return to text

123 Pagán 2004: 76; vgl. 78-83 zur Analyse von Tacitus’ Inszenierung der Epicharis, generell das dritte Kapitel, 68-90, zur Verschwörung, die als solche hier nicht zur Diskussion steht. Zur Figur der Epicharis vgl. ebenso Pagán 2000: 364-366. Return to text

124 Tac. ann. 15.57.1-2. Return to text

125 Tac. ann. 15.51.1: Epicharis quaedam [...] neque illi ante ulla rerum honestarum cura fuerat. Return to text

126 Der Text bleibt unbestimmt, ob die Bekanntschaft zwischen Epicharis und dem Flottenkommandant Volusius Proculus schon seit langem bestand oder erst seit kurzem eine amicitia entstanden war, der Begriff deutet aber in Zusammenhang mit der zuvor erwähnten unehrenhaften Lebensweise der Frau klar auf eine sexuelle konnotierte Verbindung hin, vgl. 15.51.2: is [scil. Volusius Proculus] mulieri olim cognitus, seu recens orta amicitia [...]. Return to text

127 Tac. ann. 15.51.3-4. Return to text

128 Tac. ann. 15.54.4. Return to text

129 Tac. ann. 15.56.1-3. Return to text

130 Tac. ann. 3.33.3; dabei ist hier auch wieder (wie supra, S. 20) zu unterscheiden zwischen der «Schwäche» als Wesensbestimmung von Frauen (bestätigt durch sexus natura invalidus in 3.34.5) und der «Charakterschwäche» von Männern, die auch schon in 3.34.5 genannt ist. Return to text

131 Tac. ann. 15.57.1. Return to text

132 Tac. ann. 15.57.2. Return to text

133 Scott 1988 [1986]: 43f. Return to text

134 Die hier vorgelegten Thesen konnte ich im Juni 2011 an der Tagung «Das Geschlecht der Antike» des Integrierten Graduiertenkollegs im SFB 644 «Transformationen der Antike» an der Humboldt-Universität zu Berlin zur Diskussion stellen; ich danke den Organisatorinnen Anna Heinze und Friederike Krippner und allen DiskussionsteilnehmerInnen für wertvolle Anregungen, und Jan Meister für seine kritischen Fragen beim abendlichen Gespräch. Ebenso bin ich den anonymen GutachterInnen der Zeitschrift EuGeStA für ihre Hinweise zu Dank verpflichtet. Eine gekürzte Version dieses Textes wird in englischer Sprache erscheinen in Victoria Emma Pagán (Hg), A Companion to Tacitus, dessen Publikation für 2012 vorgesehen ist. Return to text

References

Electronic reference

Thomas Späth, « Narrative Performanz. Vorschlag zu einer neuen Lektüre von Geschlecht in taciteischen Texten », Eugesta [Online], 1 | 2011, Online since 01 janvier 2011, connection on 12 décembre 2024. URL : http://www.peren-revues.fr/eugesta/1133

Author

Thomas Späth

Universität Bern

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